Alles bleibt anders (German Edition)
zurück zum Nordufer des Müggelsees führte.
Jetzt sah er auch nach links und rechts.
Anscheinend sagte ihm seine Intuition, dass der Verfolgte noch irgendwo in der Nähe war.
Frank wurde klar, dass ihn der Fremde trotz der Dämmerung früher oder später entdecken würde und ergriff kurz entschlossen die Initiative. Er sprang die Böschung hinab und landete direkt hinter dem Mann, der sich, das Geräusch hörend, sofort umgedreht hatte.
Auge in Auge standen sie sich nun gegenüber, zwei Duellanten gleich.
»Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?«
Doch Franks Fragen vergeudeten nur Zeit. Es wirkte nicht so, als ob die Worte den Fremden überhaupt interessierten, er griff mit der Rechten in eine Seitentasche am Oberschenkel seiner Cordhose und zog ein Messer hervor.
Frank erschrak und wich zurück.
Das war auch gut so, denn sein Gegenüber hatte das Messer, gerade aus der Tasche heraus, direkt nach vorne zu Frank gestoßen und nach oben über dessen Brust gezogen.
Sein Hemd, ein weißes seines Vaters, wurde links der Knopfleiste von unten bis fast zum Kragen hinauf aufgeschlitzt. Nur Franks schnelle Reaktion, nach hinten auszuweichen, hatte verhindert, dass das Messer tief in seinen Körper drang.
Geistesgegenwärtig setzte Frank nach, ballte seine Linke und schlug mit der Rückseite seiner Faust auf die Waffenhand seines Kontrahenten, in dem Augenblick, in dem sie für einen Lidschlag links oberhalb seines Kopfes verharrte. Damit hatte der Verfolger nicht gerechnet, sein Messer glitt aus seiner Hand und wirbelte in hohem Bogen durch die Luft, um dann in einem Gebüsch zu verschwinden. Doch dieser hatte sich schnell wieder im Griff. Mit seiner anderen Hand griff er nach vorn, packte in den Schlitz, den er geschnitten hatte und riss Frank mit einem beherzten Ruck das Hemd vom Leib. Frank wusste nicht, wie ihm geschah, da drehte sich der Unbekannte auch schon um und rannte davon, den Weg entlang zum Nordufer.
Frank glaubte nicht, dass ein Verfolgen seinerseits sinnvoll wäre, zumal die abendliche Sicht immer schlechter wurde. Sich bückend griff er nach seinem zerfetzten Hemd und spürte dabei in der Bauchgegend ein Kribbeln auf seiner Haut: Das Messer hatte ihn doch erwischt. Aus einem etwa fingerlangen Kratzer sickerte Blut hervor. Er presste das Hemd auf die Wunde, um sie zu stillen und wandte sich dem Gebüsch zu, in dem das Messer verschwunden war. Doch er fand es nicht mehr wieder und gab die Suche bald auf: Er wollte nur noch nach Hause.
Der bärtige Droschkenkutscher, zu dem Frank einstieg, zog die rechte Augenbraue nach oben, als er den Zustand seines Fahrgasts musterte. Dennoch hielt er seine Neugierde im Zaum und Frank gab ihm, dankbar dafür, ein angemessenes Trinkgeld, als er sicher und wohlbehalten zu Hause ankam.
Seiner Mutter erzählte er nichts von dem Überfall. Ein Ast, auf dem er gestanden hatte, sei unerwartet hoch geschnellt, habe ihm das Hemd zerrissen und seinen Oberkörper verletzt. Das war seine Version der Geschichte beim Abendessen, danach ging er bald zu Bett.
8
»Sollte ich mich nicht irgendwo auf ein Sofa legen?«
Frank beugte sich nach vorn und sah sich im Behandlungszimmer um.
Dr. Hohmann zwinkerte ihm zum wiederholten Male zu und Frank fragte sich, ob es ein Augenleiden sei oder ob der Psychiater es bewusst anwandte, um seine Patienten aufzuheitern und zu ihrer Entspannung beizutragen.
»Möchten Sie das denn?«, wollte er freundlich wissen.
Frank lachte.
»Nein, eigentlich nicht!«, sagte er und lehnte sich wieder bequem in seinem hellbraunen Ledersessel zurück. Der Arzt saß auf der anderen Seite seines eichenen Schreibtischs in einem ähnlichen Sessel, der seinerseits etwas abgenutzter aussah als der von Frank.
»Fassen wir noch einmal zusammen«, lächelte Dr. Hohmann.
Frank kam der Arzt wie ein großer Junge vor, hager, volles dunkelbraunes Haar, jugendliche Gesichtszüge, keinerlei Falten. Vorne im Wartezimmer hing ein Dokument über die Verleihung seines Doktor-Titels. Daraus hatte Frank entnommen, dass Dr. Hohmann schon deutlich über vierzig sein musste. Zu sehen war davon nichts.
»Vor drei Jahren ist ein Mann am Görlitzer Bahnhof ums Leben gekommen. Die Umstände sind ungeklärt. Erwiesene Tatsache ist nur, dass ihn ein Zug erfasst, mitgeschleift und verstümmelt hat. Es kommen Selbstmord, Unfall oder Mord in Frage. Eine vierte Möglichkeit sehe ich nicht.«
Frank war über den Pragmatismus seines Gegenübers überrascht.
»Wenn es Selbstmord war«, ergänzte Dr.
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