Alles bleibt anders (German Edition)
geschehen? Wo war Frank gewesen?
Und Frank erinnerte sich an den Blick, den Wiegand ihm an seiner Haustür in Dahlem zugeworfen hatte und erkannte nun auch, was in ihm zu lesen gewesen war.
Wiegand hatte zunächst erstaunt gewirkt und dann gerade so, als ob er eine gewisse Verhaltensweise von ihm erwartet hätte, eine Aktion, einen bestimmten Satz.
Wenn Wiegand vielleicht auch nicht die Antwort auf alle seine Fragen hätte, er besaß den Schlüssel dazu; er spielte eine zentrale Rolle, das wurde Frank nun klar.
Und plötzlich überkam ihn auch die Angst. Doch er fürchtete nicht um sich selbst, sondern um die Frau, von der er erwartet hatte, dass sie heute wieder hier wäre, wie an den zwei Nachmittagen davor. Warum nur war sie nicht gekommen?
»Claire!«
Erschrocken sprang er auf.
Für den Rückweg zum Nordufer des Müggelsees benötigte er diesmal nur halb so lange wie an den Vortagen. Ohne ein Wort des Grußes stieg er in die erstbeste leere Droschke und nannte sein Fahrtziel in Dahlem.
»Fahren Sie, so schnell Sie können!«
Frank fror, als er in Dahlem eintraf, trotz der Lederjacke seines Vaters, die er heute Morgen übergezogen hatte.
Als ob der Himmel ihn warnen wollte, hatte er sich weiter zugezogen. Der Wind gewann immer mehr an Stärke und trieb die grauen, schweren Wolken mit hoher Geschwindigkeit vor sich her.
Eigentlich wirkte das Heim der Wiegands unter diesem Himmel nicht bedrohlicher als die anderen Häuser, dennoch flößte es ihm Angst ein.
Nur der Gedanke daran, dass Claire in Gefahr schwebte, ließ ihn seine Furcht überwinden und das Gartentor öffnen. Doch diesmal ging er nicht zum Haus, um den Türklopfer zu betätigen. Er schlich vorsichtig drum herum. Durchs erste Fenster spähend, erkannte er eine nobel eingerichtete Küche. Was genau er zu finden hoffte, wusste er nicht. Er ging weiter. Das zweite Fenster bestand aus einer Milchglasscheibe, was dahinter war, konnte Frank nicht erkennen. Um die Hausecke herum, ein Doppelfenster, groß und breit, daran anschließend eine Glastür, die in den Garten auf eine Terrasse führte.
Vorsichtig spähte er hinein und zwischen zwei nicht sorgfältig genug zusammen gezogenen Vorhängen, entdeckte er sie: Claire.
Sie lag auf einer Couch, eine Wolldecke über sich ausgebreitet und schien zu schlafen.
Frank konnte nur einen Bruchteil des Raums einsehen und wusste nicht, ob noch jemand zugegen war.
Dieter wäre tagsüber immer in der Klinik, hatte ihm Claire bei einem ihrer Treffen erzählt. Dass sie zum Müggelsee gefahren war, habe sie vor ihm geheim gehalten. Es wäre selten, dass er vor acht Uhr abends zu Hause sei.
So hoffte Frank, dass wirklich nur Claire ihn hören konnte, als er mit den Fingern an die Scheibe trommelte.
Seine Zuversicht wurde enttäuscht.
Claire hatte keine Reaktion gezeigt, doch dafür erschien das Gesicht einer Frau hinter der Scheibe.
Sie war gewiss zehn Jahre älter als Frank, hatte streng zurück gekämmtes, braunes Haar und starrte ihn mit böse funkelnden Augen an. Dann war sie auch schon wieder verschwunden.
Ein Geräusch neben Frank: die Terrassentür. Sie öffnete sich und die Frau, die eben noch am Fenster war, kam einen Schritt nach draußen und zog die Tür hinter sich ein Stück weit wieder zu.
»Was wollen Sie? Hauen Sie ab!«, fauchte sie ihn halblaut an. »Ich werde um Hilfe rufen!«
Frank ließ sich seine Aufregung nicht anmerken.
»Ich möchte gerne Frau Wiegand sprechen!«
»Aber Frau Wiegand möchte Sie nicht sprechen.«
Nur nicht abwimmeln lassen.
»Das soll sie mir bitte selbst sagen!«
»Was erlauben Sie sich eigentlich? Schleichen hier im Garten umher wie ein Einbrecher …«
»Ich möchte nur Frau Wiegand sprechen«, unterbrach Frank die Frau.
»Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass sie verschwinden sollen! Frau Wiegand ist krank.«
»Bitte, nur einen kurzen Augenblick!«, beharrte Frank und erfasste dann erst ihre Worte.
»Krank?«, fragte er.
»Ja, und ich fordere Sie jetzt zum letzten Mal auf, zu gehen!«
Frank rührte sich nicht von der Stelle und gerade als die Frau tief Luft holte, um nach Hilfe zu schreien, glitt die Glastür einen Spalt auf und eine Hand griff heraus und packte die Frau auf der Terrasse sanft am Oberarm.
Frank und die Frau blickten überrascht zur Tür.
Claire stand da, in einem weißen Nachthemd. Mit bleichem Gesicht und Augen, die in die Unendlichkeit zu schauen schienen, wirkte sie geradezu ätherisch, einem Geist gleich.
»Claire«, erschrak Frank.
»Da sehen Sie, was Sie
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