Alles bleibt anders (German Edition)
Kopf.
»Frank, Frank. Es steht schlimmer mit dir, als ich gedacht hatte!«
Frank fiel auf, dass ihn Wiegand duzte.
»Was meinen Sie damit, Wiegand?«
Wiegand lächelte überlegen, die Enden seines gezwirbelten Oberlippenbartes wanderten ein paar Millimeter nach oben.
»Wenn ich nicht etwas von dir bräuchte, würde ich keine Minute zögern, dir eine Kugel durch den Kopf zu jagen!«
»Sie haben mich verfolgen lassen!«, warf ihm Frank entgegen. »Und die Wohnung meiner Mutter, das waren Sie auch!«
»Oh, das logische Denken kehrt zurück. Na, hoffentlich kein Zeichen dafür, dass es auch mit dem Gedächtnis wieder etwas wird. Hm, vielleicht sollte ich dich auch einfach in die geschlossene Abteilung bei mir in der Klinik einweisen lassen. Es würde so manchem Kollegen in der Gehirnforschung eine Freude sein!«
Wiegands Siegessicherheit nahm ein Ende, als es laut aus der Richtung eines Nachbarhauses knallte.
Ein Fenster war vom wieder stärker werdenden Wind zugeschlagen worden. Dieser Augenblick nachlassender Aufmerksamkeit genügte Frank. Er schnellte nach vorn und schlug mit der Faust auf Wiegands Waffenhand. In weitem Bogen flog die Pistole über einen Gartenzaun. Frank verlor dabei das Gleichgewicht, prallte gegen Wiegand und riss ihn mit sich nach unten. Sie wälzten sich auf dem Trottoir hin und her. Wiegands Körpermasse machte Frank durch seine Verbissenheit wett. Irgendwann saß er auf Wiegand und dieser lag auf dem Rücken, laut und schwer keuchend. Frank zog das Messer, das er sich morgens in der Küche eingesteckt hatte. Er drückte es Wiegand an die Kehle, um die Wahrheit aus ihm heraus zu pressen, doch dieser mobilisierte erneut seine Kräfte, stemmte sich nach oben und schleuderte Frank von sich herunter. Wieder am Boden. Im Handgemenge. Frank hielt das Messer fest in der Hand, Wiegand wollte es ihm entwinden: Es gelang ihm nicht. Da schrie Wiegand plötzlich auf. Frank sah das Blut, das aus Wiegands Seite hervorquoll, Mantel, Anzugjacke und Hemd Wiegands waren der Länge nach aufgeschnitten, bis über die Achsel hinaus. Eine Wunde dahinter, nicht tief, wie es schien, aber von der Hüfte bis zur Schulter führend. Noch etwas sah Frank unterhalb der Achselhöhle: eine kleine Tätowierung, sah aus wie ein 'A'.
Er hatte Wiegand so, wie er ihn wollte: hilflos.
So glaubte er zumindest.
Als er Wiegand ins Gesicht sah, spiegelte sich Zufriedenheit in dessen Augen.
Warum?
Es war jemand hinter ihm!
Frank drehte sich herum. Schnell. Gerade noch rechtzeitig, bevor der Kolben einer Waffe auf ihn niedersauste.
Der Mann, der die Waffe in der Hand hielt, torkelte.
Rasch stand Frank auf.
Er erkannte den Mann, der vor ihm um sein Gleichgewicht kämpfte. Es war der Mann, gegen den er auch am Müggelsee gekämpft hatte.
Gegen zwei Gegner hatte Frank keine Chance. Das wusste er.
Er gab Fersengeld.
Er hoffte, dass sie ihm nicht einfach so auf offener Straße in den Rücken schießen würden und behielt Recht.
Mehrere Minuten lang rannte er die Straßen entlang, bog wahllos um Häuserecken, bis er sich irgendwann sicher war, dass er nicht verfolgt wurde.
Dann setzte er sich in eine Droschke und sagte dem Kutscher, wohin er ihn bringen sollte.
Frank rüttelte sanft am Friedhofstor. Zu spät. Es war bereits verschlossen.
Er sah sich um: Düster und bedrohlich zeichnete sich der graue Turm der Dreifaltigkeitskirche vor dem dunklen Himmel ab. Keine Menschenseele war zu dieser späten Stunde noch auf dem Kirchhof.
Ein Geräusch. Frank sah eine schwarze Katze, die sich durch das Gitter des schmiedeeisernen Zauns schlängelte und dann im Friedhof verschwand. Er kletterte ihr hinterher. Nur wenig Restlicht leuchtete von den Gaslampen außerhalb des Friedhofs herein bis auf die Gräber. Dennoch fand Frank die Grabstätte, die er suchte.
Ernst und Frank Miller lagen laut Inschrift hier begraben.
Frank kniete sich nieder und grub mit den Fingern zwischen dem Efeu im Boden.
Nach kurzer Zeit schon hielt er das Gesuchte in seinen Händen.
Er streifte die braune Erde von den Kettengliedern und dem Anhänger ab.
Dann lag es vor ihm, das Medaillon, in seiner Handfläche. Fühlend fand er den seitlichen Mechanismus und betätigte ihn. Das Medaillon klickte leise und öffnete sich. Die beiden Buchstaben im Deckel sah er nicht, dafür war es zu dunkel.
Nun wusste er endlich, was er zu tun hatte. Er wusste, was er schon vor vier Tagen hätte tun sollen.
Frank spürte die weiche Oberfläche des schwarzen Knopfs unter seiner Fingerkuppe.
Er
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