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Alles bleibt anders (German Edition)

Alles bleibt anders (German Edition)

Titel: Alles bleibt anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Langer
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keinerlei Wartesemester in Kauf zu nehmen. Außerdem konnte er frei wählen, an welcher Universität er studieren wollte. Dies war der Preis, den er für die vier Jahre bei der Wehrmacht erhalten hatte. Doch der Preis stand in keinem Verhältnis zum Erduldeten.
Sanitätsoffizier war er gewesen, drei Jahre im Gotengau auf der Krim, das letzte Jahr in der Stadt des Endsiegs. 'Endsieg', zu den vielen Bedeutungen, die das Wort vor seiner Dienstzeit gehabt hatte, gesellte sich nun eine weitere, seine eigene persönliche Sichtweise dazu. 'Endsieg' – die Stadt, die früher einmal Stalingrad geheißen hatte und ursprünglich wie Moskau und Petersburg dem Erdboden gleich gemacht werden sollte – und das Reich hatten auch Frank Miller besiegt, seine Ehre, seine Moral und seine Selbstachtung. Die drei Jahre davor waren schon bitter und erschreckend genug für ihn gewesen: Das Jahr in der Stadt des Endsiegs hatte ihm den Rest gegeben. Wie alle anderen Soldaten dort, war auch er erst im letzten Jahr seiner vierjährigen Dienstzeit dorthin versetzt worden. Aus gutem Grunde von der Armeeführung so arrangiert, denn die Selbstmordrate unter den deutschen Soldaten dort war immer noch um ein Vielfaches höher als an anderen Standorten. Nur Soldaten, die schon in anderen Gebieten gedient und ein gewisses Maß an Erfahrung hatten, so die offizielle Bezeichnung, oder Abstumpfung, so Franks Deutung, wurden dorthin beordert. Hätte man sie direkt zu Dienstbeginn dorthin abkommandiert, die Suizidfälle innerhalb der Wehrmacht wären deutlich angestiegen.
Unglaublich waren auch die Zustände, die dort herrschten. Frank hatte nicht den Mut gefunden, sie irgendjemandem nach seiner Rückkehr zu erzählen, denn viel zu sehr war er selbst darin verfangen, trug Mitverantwortung und auch Mitschuld. Wogen Zusehen und Schweigen weniger schwer, als ein Verbrechen selbst zu begehen?
Er wusste, dass ihm die Leute zu Hause in Germania, Bekannte und Verwandte, nicht geglaubt hätten. Fernsehen und Tageszeitungen erzählten von einer anderen Welt, als der, die Frank im Osten des Reiches erfahren hatte. Es war einfacher, das zu glauben, was man glauben wollte.
Der Propaganda war auch er vor vier Jahren aufgesessen. Wie naiv und unschuldig er doch gewesen war! Doch ohne die entsprechenden Kontakte in der Partei verblieb nur der Armeedienst, um einen Studienplatz zu ergattern, so war das eben.
Frank war dankbar, dass er 'nur' im Sanitätswesen gewesen war. So war es ihm zumeist vergönnt gewesen, nur in der zweiten Reihe zu stehen, wenn andere ihre Befehle ausführen mussten. Befehle, die sie auf ihren Eid auf Führer und Vaterland gründeten. Befehle, die in Willkür, Folter, Tod endeten.
Wofür die hehre Kunst der Medizin jedoch missbraucht wurde, hatte Frank an anderer Stelle erlebt. Es hatte ausgereicht, ihm das ursprünglich angestrebte Medizinstudium zu vergällen.
Frank verdrängte die Gedanken, sie würden früh genug wieder auf ihn einströmen. Das taten sie immer, ob tagsüber, ob nachts, in der Freizeit oder während er arbeitete. In sicherer Beständigkeit kamen sie wieder und immer trafen sie ihn unvorbereitet.
Lieber durchs Fenster starren, auf die romantische Heidelandschaft. Verdrängen. Vergessen.
Einen weiteren Unterschied gab es hier in Angelsachsen: Zum großen Teil waren die historischen Namen hier erhalten geblieben. Im Osten des Reiches zeugte nichts mehr davon, dass Orte und Landstriche vor hundert Jahren keine deutschen Namen gehabt hatten. Den Bestrebungen im letzten Jahrhundert nach dem Deutschen Krieg, auch hier etwa aus Cotswolds eine Cottische Heide oder aus Oxford Ochsenfurt zu machen, war kein Erfolg beschieden gewesen. Auch aus Anerkennung und Respekt den verwandten Germanen von der Insel gegenüber, hatte man von diesen Plänen Abstand genommen. Schließlich hatte die Bevölkerung Londons genauso gejubelt, wie ein paar Jahre zuvor die in Wien, als Adolf Hitler im offenen Wagen im Triumphzug über den damaligen Trafalgar Square gefahren war.
»Sieg Heil!«, hatten sie ihm auf Deutsch zugerufen und »Willkommen«.
Seither hatten sie nur noch deutsch gesprochen, das 'Gesetz zur Angleichung im Deutschen Volksraum' wollte es so. Doch während englisch zu reden nur verpönt war, war beispielsweise russisch oder rumänisch im Osten des Reiches unter Strafe verboten. Das polnische hatte sich quasi von selbst erledigt. Es lebten keine Nachkommen derer mehr auf jenem Gebiet, das vor dem Deutschen Krieg den Namen 'Polen' getragen

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