Alles bleibt anders (German Edition)
Karen.«
»Na ja, zur Mutter und Hausfrau hätte ich sowieso nicht getaugt. Da hat das Reich keinen Verlust erlitten!«
»Du sagtest, du studierst bereits. Im wievielten Semester?«
»Im dritten.«
»Wie denn das? Der Soziale Dienst dauert die gleichen vier Jahre wie der Dienst bei der Wehrmacht. Als ich in den Gotengau abkommandiert wurde, hattest du noch überlegt, wie du am besten vorgehen wolltest.«
»Ja. Und dass ich einen Weg finden wollte, die Pflichtzeit zu verkürzen, war das Ziel meiner Überlegungen. Ich habe es geschafft, sie zu halbieren.«
»Die Pflichtzeit halbieren? Wie hast du das denn hingekriegt? Ich habe noch von keiner Frau gehört, die mit nur zwei Jahren davon gekommen ist. Es sei denn, sie hätte während ihrer Dienstzeit geheiratet.«
Karen tippte mit der Spitze ihres Zeigefingers an Franks Nase.
»Habe ich dir nicht früher immer schon gesagt, dass Karen einen Weg finden würde?« »Ja, die waren nur nicht immer nützlich, deine Wege. Ich erinnere mich an die Erdbeerbowle, die meine Mutter zubereitet hatte, weil mein Vater Geburtstag hatte. Du hast mich dazu angestiftet, sie gemeinsam mit dir auszutrinken. Das war der erste Rausch unseres Lebens. Du sagtest zu mir, wir müssten das irgendwie vertuschen und ich musste drei Mal nachfragen, was du meintest, weil ich dich so schwer verstehen konnte, was entweder an deiner Aussprache oder an meinem beeinträchtigten Hörvermögen lag – oder an beidem. Und dann kamst du auf die glorreiche Idee, in der Bowleschale eine rote Tablette meines Wasserfarbkastens in Wasser aufzulösen und ein paar Erdbeeren aus dem Garten dazu zu werfen. Ich sehe heute noch vor mir, wie meine Mutter beim ersten Schluck das Gesicht verzieht und ihr Blick unheilschwanger auf uns fällt, während wir da stehen und mit unserem Gleichgewicht kämpfen. Ich hatte dich angesehen: Du sahst so unschuldig aus wie ein Lamm; mir hatte meine Mutter mein schlechtes Gewissen gleich angemerkt und ich habe alles gestanden. Wir durften uns danach vier Wochen nicht sehen.«
»Getroffen haben wir uns trotzdem!«, triumphierte Karen lachend. »Und glaub mir: Meine Pläne sind im Laufe der Jahre besser geworden!«
»Also, wie hast du es arrangiert? Jemanden vergiftet? Das Seniorenheim angezündet?«
»Viel besser, Frank, viel subtiler. Ich habe mich wegloben lassen!«
»Wegloben?«
»Ja. Erinnerst du dich an General Georg Heider, Frank?«
»Natürlich erinnere ich mich an ihn. Er hat seinerzeit den Aufstand in Belgrad niedergeschlagen, ich habe die ganzen Meldungen damals mit meinen Eltern im Fernsehen verfolgt.«
»Es sah wie all die anderen Berichterstattungen aus. Die bösen Slawen rebellieren gegen die guten Arier, die doch ihr Land erst lebenswert gemacht haben und ohne die sie in tiefster Barbarei vegetieren müssten. Unvorstellbar, warum ein halbwegs vernünftiger Mensch etwas gegen die Deutschen haben könnte, die doch Zucht und Ordnung auf den Balkan gebracht hatten. Die Bilder in unseren Medien zeigten schwer bewaffnete serbische Milizionäre, die von Hügeln herab oder hinter Häuserecken hervor den Wehrmachtssoldaten auflauerten, ihnen feige und hinterrücks in den Rücken schossen. Heider hatte das Oberkommando über die deutschen Truppen dort.«
»Ja, ich weiß.«
Frank hätte damals nicht gedacht, dass er das, was er als Jugendlicher im Fernseher mitverfolgt hatte, als Erwachsener selbst erleben sollte. Und er hätte damals auch nicht gedacht, wie groß der Unterschied zwischen bunten flimmernden Bildern und der Realität war.
»Wie so oft nur die halbe Wahrheit«, fuhr Karen fort. »Warum der Aufstand ausbrach, wurde der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt. Die Wehrmachtssoldaten hatten gefoltert und vergewaltigt. Einer hat einer Serbin ihr Neugeborenes aus den Armen gerissen und vor ihren Augen wie einen Fußball hin- und hergekickt, um sie zu einem Geständnis zu zwingen.«
»Karen, wir wissen beide um solche Verbrechen. Du weißt, wofür ich mich die vergangenen vier Jahre verkauft habe.«
Er wollte nichts mehr hören.
»Warte doch ab! Der ehrenwerte General Heider, mit zahlreichen Orden ausgezeichnet, ein Held des Deutschen Volkes, heute demenzkrank im Seniorenheim in Bad Schandau in der Sächsischen Schweiz hat alles im Film dokumentiert. Eines Tages hat er mich ganz geheimnistuerisch in sein Zimmer gewinkt. Ich befürchtete Schlimmes. Ich dachte, er wolle etwas von mir. Er sah mich äußerst verschmitzt an, als er die Scheibe einlegte und plötzlich diese schrecklichen
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