Alles bleibt anders (German Edition)
vielleicht sagt ihr mir nun erst mal, was dieses Treffen hier soll? Ich bin doch nicht hier, um zu erzählen, was ich aus Schulzeiten noch von der Chaostheorie weiß?«
Für einen Moment war alles ganz ruhig, nur Tristans Knie zitterten leicht.
Dieter sah aus wie ein Tiger vor dem Sprung, gerade so, als wolle er im nächsten Augenblick aus der Wohnung verschwinden.
Karen zog ihr mobiles Telefon aus seiner Halterung an ihrem Gürtel.
»Es ist alles sauber hier«, sagte Gothaer, bevor sie es einschaltete und sie steckte es wieder zurück.
»Karen!«, sagte Frank bestimmt. »Was ist hier los?«
»Sie sind hier«, begann Gothaer an ihrer Stelle, und seine Augen wirkten hinter den großen Brillengläsern besonders eindringlich, »weil ich Sie, nun ja, in gewisse Dinge mit einbeziehen möchte.«
Er machte eine Pause, suchte nach den richtigen Worten.
»Sie erfüllen bestimmte Voraussetzungen, Herr Miller, die notwendig sind, um meine Forschungen voran zu bringen!«
»Forschungen? Welche Forschungen?«
»Langsam, Herr Miller, alles zu seiner Zeit. Herr Wiegand sieht für mich nicht so aus, als habe er im Moment die nötige Geduld, meinen Ausführungen zuzuhören, deren Inhalt er selbst zudem schon genauestens kennt. Er möchte wissen, und wir anderen möchten das auch, wo sie politisch stehen, wie ihr Verhältnis zu Staat und Partei ist!«
»Ich soll mich offenbaren?«, sagte Frank ruhig, aber bestimmt. »Außer Karen kenne ich Sie alle nicht! Warum sollte ich das tun?«
Er sah dabei nicht in die Runde, sondern einzig und allein auf Dieter. Sie saßen sich gegenüber, Auge in Auge, ein Kräftemessen. Keiner wich dem Blick des anderen aus.
Ganz unerwartet brach Tristan das Schweigen.
Und Frank hörte zum ersten Mal Worte aus dem Mund des blonden Hünen.
»A-am besten, ich f-fange an.«
Welch ein Kontrast! Überrascht wandte sich Frank dem nervös hin und her rutschenden Tristan zu.
»Entschuldige b-bitte. Wenn ich aufgeregt bin, stottere ich ein w-w-wenig.«
Tristan versuchte, seine Verlegenheit mit einem Lächeln zu kaschieren. Es gelang ihm nicht.
»Es ist alles in Ordnung«, entgegnete Frank schnell. »Du brauchst dich nicht zu schämen!«
»Danke!«
Tristan fuhr fort: »Ich w-wurde 1979 in Germania geboren, meine Eltern sind Theodor und Elfriede Hartwig, mit deutschen Ahnen, nachweisbar bis ins 15. Jahrhundert. V-vielleicht hast du von ihnen g-gehört, Frank?«
»Ehrlich gesagt: nein.«
»M-macht nichts!«, meinte Tristan. »Mein Vater war in seiner Jugend ein sehr erfolgreicher F-fußballspieler, später wechselte er in den Vorstand des R-reichs-Fußball-Komitees. Meine M-mutter war Eiskunstläuferin, sie hat zahlreiche Auszeichnungen b-b-b-b…«
»Bekommen«, half ihm Karen. »Soll ich für dich weiter erzählen?«
»G-gerne. Danke, Karen«, antwortete Tristan erleichtert und zu Frank gewandt ergänzte er: »R-reden ist nicht gerade meine Stärke, weißt du! Und K-karen und die anderen kennen die Geschichte.«
»Mich wundert nicht, dass du nichts von seinen Eltern gehört hast, Frank«, begann nun Karen, »Du hast dir ja nie etwas aus Sport gemacht. Und die Höhepunkte ihrer sportlichen Karrieren lagen schon vor unserer Geburt. Jedenfalls waren sie aufgrund ihrer sportlichen Vorbildfunktion zudem auch rasch innerhalb des Parteiapparates zu Amt und Würden gekommen. Tristan gleicht seinem Vater äußerlich sehr und auch seine Mutter sieht aus, als wäre sie einem Lehrbuch der Rassenklassifizierungen entstiegen: nordischer Typus, helle Haut, blondes Haar, blaue Augen, überdurchschnittlich groß; Bilderbuch-Arier eben. Man könnte fast meinen, Tristans Eltern wären im Auftrag der Partei genetisch konstruiert worden. Als Elfriede Hartwig dann schwanger wurde, war die Freude nicht nur bei den Eltern groß. Die Schwangerschaft wurde von Rasse-Ministerium und Ärztekammer strengstens überwacht und protokolliert: Sie lief vorbildlich und ohne jeglichen Zwischenfall. Das Kind kam zur Welt, wurde auf den Namen 'Tristan' getauft und weiterhin wurden sämtliche Entwicklungsschritte dokumentiert.«
»W-wenn ich an meine K-kindheit denke, erinnere ich mich nur an weiße K-kittel, und an Gesichter, die mich anstarren. An Geräte, die meinen K-körper vermessen, meine Beine, mein Becken, meinen Brustumfang, mein Jochbein, meine Stirn. Alles wurde statistisch ausgewertet, d-damals.«
»Und alle Werte wurden freudig begrüßt von den Ärzten. Es lief alles zur vollsten Zufriedenheit von Eltern und Partei. Vater und Mutter waren
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