Alles bleibt anders (German Edition)
hatte ein volles Gesicht, schwarzes Haar, Seitenscheitel und Vollbart und war leicht untersetzt; er trug ein kurzärmliges, graues Hemd. In der Hand hielt er ein Glas mit einer gelbbraunen Flüssigkeit. Frank schätzte, dass er der mit Abstand älteste der im Raum anwesenden Studenten war.
»Heil Hitler, Herr Soldat!«, grüßte der Mann am Fenster und grinste süffisant.
»Guten Abend«, entgegnete Frank irritiert und schwenkte seinen Blick von dem einen Mann zu dem anderen.
Der auf dem Sofa Sitzende nickte ihm nur zu, sagte aber nichts.
»Ich möchte Sie gerne miteinander bekannt machen«, begann nun Professor Gothaer.
Er schaute zu Frank. »Das ist Herr Frank Miller. Eine nähere Erläuterung ist wohl nicht notwendig, Fräulein Degner hat uns ja schon viel von ihm erzählt.«
Frank fragte sich, was Karen da über ihn berichtet hatte, während der Professor fort fuhr. »Ich möchte noch einmal betonen, dass ich mich sehr freue, dass Sie meiner Einladung Folge geleistet haben und heiße Sie in meinen Räumlichkeiten herzlich willkommen.«
Der Professor wandte sich zum Sofa um. »Das ist Herr Tristan Hartwig.«
Frank ging zu ihm; der Vorgestellte stand nicht auf, sondern streckte Frank im Sitzen die Hand zum Gruß entgegen und drückte schweigend die Rechte seines Gegenübers. Frank spürte eine gewisse Nervosität dabei.
»Und schließlich der freundliche Kommilitone am Fenster: Herr Dieter Wiegand.«
Frank streckte Dieter seine rechte Hand entgegen und nach kurzem Zögern schlug Dieter ein und drückte kraftvoll zu: »Dann auch von mir ein herzliches Willkommen«, seine Betonung sagte etwas anderes.
»Ich war selbst sehr überrascht über die Einladung Herrn Gothaers«, begann Frank, im Wesentlichen in die Richtung Wiegands. »Es ist mir eine große Ehre, hier bei Ihnen zu sein, auch wenn ich nach wie vor nicht so recht weiß, was ich hier soll. Falls Sie, Herr Wiegand, also irgendwelche Bedenken bezüglich meiner Anwesenheit haben, so sei Ihnen versichert …«
Der Professor fiel ihm ins Wort.
»Langsam, Herr Miller, immer langsam. Es ist alles in Ordnung, so wie es ist. Und es ist auch mit allen hier abgestimmt, nicht wahr, Herr Wiegand?«
Wiegand knurrte so etwas wie eine Zustimmung.
»Ist manchmal etwas kritisch , unser 'Herr Wiegand'!«, warf Karen ein und boxte Wiegand freundschaftlich auf den Oberarm, was dieser mit einem bösen Blick und einem deutlichen Schritt zur Seite quittierte.
» Kritisch zu sein, ist ja nicht immer von Nachteil«, beschwichtigte der Professor. »Was darf ich Ihnen zu trinken anbieten, Herr Miller? Wasser? Limonade? Malzbier?«
»Ein Malzbier. Gerne.«
»Ich habe auch richtiges Bier!«
»Danke, nein. Ich möchte gerne einen klaren Kopf behalten.«
»Sehr schön«, sagte der Professor, wandte sich einem Beistelltisch mit Getränken zu, an dem er eine Flasche öffnete und dann aus einer Karaffe mit Wasser und Zitronenscheiben ein Glas einschenkte. Er reichte Karen das mit Wasser gefüllte Glas und Frank die geöffnete Malzbierflasche und ein leeres Glas.
»Nehmen Sie doch Platz!«
Frank setzte sich in einen der beiden Sessel, Wiegand in den anderen, ihm gegenüber. Karen gesellte sich zu Tristan Hartwig aufs Sofa, während der Professor seinen Fernsehsessel so drehte, dass er sich in Blickrichtung zu den anderen befand.
»Um die Situation etwas zu entspannen und unsere Diskussion in Gang zu bringen, sollten wir den Stier bei den Hörnern packen und einfach anfangen«, meinte Professor Gothaer und strich sich dabei durch seinen Vollbart.
»Entschuldigung, dass ich Sie gleich unterbreche, Herr Gothaer«, sagte Karen, »nur ganz kurz vorweg, Frank: Wir hatten uns alle hier auf Vornamen und aufs 'du' geeinigt. Mit Ausnahme von Herrn Gothaer, es schien uns allen, hm, angemessener so. Ist das auch für dich in Ordnung?«
Frank sah zu Dieter und Tristan, die Karen nicht widersprachen, und erklärte sich einverstanden.
»Damit wir eine Ahnung davon bekommen, auf welchem Kenntnisstand Sie sich befinden, Herr Miller«, begann der Professor von neuem. »Heute Nachmittag habe ich ja unter anderem über die Chaostheorie referiert. Was können Sie uns darüber erzählen?«
Frank empfand es als seltsam und unangenehm, hier vor ihm fremden Leuten seinen Wissensstand offen zu legen. Er fühlte sich zurückversetzt in seine mündlichen Abiturprüfungen. Doch Karens aufmunternder und auffordernder Blick und seine eigene Neugier, was diese abendliche Zusammenkunft betraf, ließen ihn antworten.
»Ich war
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