Alles bleibt anders (German Edition)
könnte.«
Der Professor blinzelte hinter seiner überdimensionierten Brille seinem Gegenüber zu.
»Natürlich kommt er mit«, antwortete Karen für Frank.
Und Frank konnte seiner Freundin aus Kindheitstagen nicht widersprechen.
Er wollte es auch gar nicht.
Seine Neugier war geweckt.
4
»Ich weiß gar nicht, was du hast«, begegnete Frank beim Abendessen Karens vormittäglicher Warnung vor der Mensa. »So, wie zu Hause bei meiner Mutter schmeckt es sicher nicht. Aber vier Jahre Armee-Essen machen die Geschmacksnerven zunehmend anspruchsloser. Ich finde das Schnitzel sehr gut, und auch der Kartoffelsalat ist in Ordnung.«
»Ja, alles ist relativ«, zitierte Karen den berühmten Satz Albert Einsteins. »Ein Haar in der Suppe ist relativ viel, ein Haar auf dem Kopf relativ wenig. Und unter den Blinden ist der Einäugige König.«
Frank ließ sich nicht beirren und aß unbeeindruckt seinen Teller leer, während Karen nur ein paar Bissen aß und den Rest verschmähte. Als er sich dann auch noch einen Nachschlag holte, ersparte sie sich einen Kommentar dazu und schüttelte nur den Kopf.
Danach, es war noch etwas Zeit bis zum vereinbarten Treffen bei Professor Gothaer, verließen sie den Campus und spazierten durch die historischen Straßen und Gassen Oxfords. In früheren, besseren Tagen hatten die Häuser hier ihre Erker, ihre Kapitelle, ihre Farben dem Besucher stolz dar geboten. Sich das heute vorzustellen, benötigte viel Fantasie. Die Gebäude waren dem Verfall preisgegeben; schmutzige, verwahrloste Ruinen, größtenteils unbewohnt. Sie waren traurige Zeugen eines anderen Zeitalters: einer alten britischen Epoche, die längst vergangen war. Wie in beinahe ganz Europa und teilweise darüber hinaus, hatte die ehemalige, regional geprägte Architektur zum größten Teil einem modernen, nüchternen und zweckdienlichen deutschen Baustil weichen müssen.
Karen erzählte Frank von den Cotswolds. Dass sie beinahe so schön wären wie der Spreewald, schwärmte sie und dass sie ideal seien für lange Spaziergänge und Wanderungen; in den in der Nähe liegenden Dörfern Burford und Woodstock habe sich in den letzten hundert Jahren bei weitem weniger verändert als hier, berichtete sie und sie wolle sie ihm unbedingt einmal zeigen, und die beiden beschlossen, dass sie die Umgebung von Oxford so bald wie möglich gemeinsam besuchen und erkunden wollten.
Um neun, zur verabredeten Zeit, erreichten Karen und Frank einen vierstöckigen Wohnblock auf dem Campus, in dem neben Professor Gothaer auch andere an der Universität Beschäftigte lebten. Der Professor wohnte allein in einer Zwei-Zimmer-Wohnung und lächelte einladend, als er den beiden die Tür öffnete. Dann führte er sie in ein Zimmer, das trotz eingeschalteter Deckenlampe dunkel und bedrückend wirkte. Von den Wänden war kaum etwas zu sehen, vor diesen stand ohne jegliche Lücke ein Regal neben dem anderen: voller Bücher, Hefter und Ordner. Vor dem linken der beiden Fenster, die der Tür gegenüber lagen, stand ein schwerer mit Dokumenten und Mappen überhäufter Schreibtisch. Eine braune Ledergarnitur, bestehend aus einem Sofa und zwei Sesseln, stand in der Mitte des Raums um einen Tisch gruppiert, daneben ein schwerer, verschlissen aber bequem wirkender Fernsehsessel, der zu einem hüfthohen Schrank ausgerichtet war, der wie die Regale und der Schreibtisch aus Kirschholz gearbeitet war und hinter dessen beiden geschlossenen Türen Frank ein Fernsehgerät vermutete.
Zwei Männer waren anwesend.
Der eine, etwa in Franks Alter, saß zurückgelehnt auf einer Seite des Ledersofas und musterte Frank von oben bis unten. Selbst Frank, der auf Äußerlichkeiten nur wenig Acht gab, erschien der Sitzende außerordentlich attraktiv. Er hatte blondes, kurz geschnittenes, in der Mitte gescheiteltes Haar, sein markantes Kinn war glatt rasiert. Dem Blick seiner klaren blauen Augen konnte man kaum ausweichen. Seine Schultern waren breit und Frank schätzte seine Körpergröße auf mindestens ein Meter neunzig. Der Sitzende trug einen anliegenden weißen Pullover, der seinen muskulösen Oberkörper betonte. Er glich einem Hünen und schien geradezu einem Propaganda-Film des Rasse-Ministeriums entstiegen zu sein. Vor ihm auf dem Tisch stand ein Glas Wasser.
Der zweite Mann war, genauso wie alle anderen Anwesenden, kleiner als der Mann auf dem Sofa. Er stand mit dem Gesicht zum rechten der beiden Fenster und drehte sich nun um. Er kniff die Augen zusammen, als er Frank fixierte. Er
Weitere Kostenlose Bücher