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Alles bleibt anders (German Edition)

Alles bleibt anders (German Edition)

Titel: Alles bleibt anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Langer
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waren. Ein Schreiben war den Hospital-Entlassungsurkunden angeheftet, dass der Junge unterzeichnen sollte und dass ihn verpflichtete, wöchentlich im Hospital vorzusprechen, um sich 'nachuntersuchen' zu lassen. Als ich heimlich weitere Krankenakten durchblätterte, entdeckte ich weitere Frauen, Männer und Kinder, die unter 'unerklärlichen Umständen des Nachts verstorben waren', 'einer Lungenentzündung erlegen waren' oder 'aus der Operationsnarkose nicht mehr erwacht waren'. Dass vom Militärhospital Organe in verschiedene Kliniken des Reichs geliefert wurden, wusste ich bereits und als ich die Lieferdaten der Kurierdienste mit denen der unerklärten Todesfälle verglich, stimmten sie überein. Das war zu einem Zeitpunkt, als ich noch voller Enthusiasmus Medizin studieren wollte.«
Frank blickte stur geradeaus, um den Anwesenden nicht in die Augen sehen zu müssen.
»Alle schwangeren, slawischen Frauen sind dazu verpflichtet, in die Militärhospitäler zu vorbeugenden Untersuchungen zu kommen. Eigene Krankenhäuser hat die Bevölkerung dort ja seit Jahrzehnten nicht mehr, geschweige denn eigene ausgebildete Ärzte. Die Wehrmachtsärzte spritzen den Schwangeren dort ein Medikament, das mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Abgang führt. Besonders perfide wird es, wenn Frauen zudem behaupten, sie wären von Deutschen geschwängert worden. Diese bekommen das Medikament nicht zugeführt. Sie werden jedoch registriert und ihre Kinder nach ihrer Geburt auf ihre Rassetauglichkeit überprüft. Werden sie für ausreichend arisch gehalten, nimmt man sie ihren Müttern weg und sie werden den Maßgaben des Rasseministeriums entsprechend erzogen. An Tresen, an denen die Väter oder andere männliche Patienten dazu angehalten werden, mehrseitige Formulare auszufüllen, sind auf Beckenhöhe Röntgengeräte installiert, die über mehrere Minuten lang die Leistengegend bestrahlen und so zur Unfruchtbarkeit führen. Das sind die wahren Ursachen der 'Minderwertigkeit anderer Rassen, die deren Aussterben verursacht.'«
Frank schluckte.
»Einer meiner Vorgesetzten, Dr. Berndt, zeigte mir einmal seine persönliche Sammlung an Kinderköpfen, teils präpariert, teils in großen Gläsern in Formalin eingelegt. An manchen erkannte man noch Narben, Entstellungen und Deformationen, die nur erahnen ließen, welche Torturen die Kinder vor ihrem Tod erlitten hatten. Stolz erzählte mir Dr. Berndt, dass er sie glücklicherweise vor ihrer Vernichtung retten konnte. Die Köpfe, wohlgemerkt, nicht die Kinder.«
Frank saß kerzengerade, seine Lippen bebten.
»Ihre Augen, sie starren mich immer noch an!«
Karen drückte Franks Hand und er zog sein Resümee.
»Sie haben mich eingangs gefragt, wo ich politisch stehe, wie mein Verhältnis zu Staat und Partei ist. Ich werde es Ihnen sagen: Wenn ich die Gelegenheit hätte, dieses System, in dem wir zu leben gezwungen sind, zu zerstören, so würde ich dies auch tun!«
Und nach einer kurzen Atempause fügte er etwas verhaltener hinzu: »Vorausgesetzt, ich brächte den nötigen Mumm dafür auf.«
»Sie beide, Herr Miller und Herr Wiegand, verbindet mehr, als Ihnen lieb ist. Sie sollten das anerkennen!«, meinte der Professor.
»Sie haben Recht, Herr Gothaer«, sagte Dieter und Frank nickte.
»Ich möchte nicht noch mehr darüber erzählen«, schloss Frank beschämt und alle respektierten dies stillschweigend.
»Es ist spät«, sagte Gothaer, »und ich glaube nicht, dass es angemessen wäre, jetzt noch über meine Forschungen zu sprechen. Ich danke Ihnen allen für Ihre Offenheit und bin überzeugt, dass Herr Miller einer von uns ist. Herr Miller, Sie werden nicht nur die Gelegenheit erhalten, zukünftige Verbrechen zu verhindern, sondern auch dazu, bereits geschehene ungeschehen zu machen!«
Frank hatte keine Ahnung, was Gothaer damit meinte und sollte es an diesem Abend auch nicht mehr erfahren. Der Einladung Gothaers Folge geleistet zu haben, hatte mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet.

5
     
    Die schrecklichen Bilder ließen Frank die Nacht und den ganzen nächsten Tag über nicht los. Er besuchte eine Vorlesung, die den Studenten den aktuellen Stand der Atomphysik zusammenfasste. Professor Schöner verstand es, seine Zuhörer zu fesseln beinahe ebenso gut wie am Vortag Professor Gothaer. Dennoch fehlte Frank jegliche Konzentrationsfähigkeit. Die gestrigen Erzählungen hatten von ihm Besitz ergriffen; auch seine eigenen Erlebnisse – wieder einmal. Nach einer Pause kehrte er nicht in den Hörsaal

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