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Alles bleibt anders (German Edition)

Alles bleibt anders (German Edition)

Titel: Alles bleibt anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Langer
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zurück. Er ging nach draußen und setzte sich unter einer Eiche auf eine Bank. Hoch oben am Himmel sah er einen Mäusebussard gelassen seine Kreise ziehen. Er schloss die Augen. Die von Tag zu Tag kraftloser werdende Herbstsonne schien ihm ins Gesicht und wärmte es. Ohne sie selbst je gesehen zu haben, hatte er die Frau vor Augen, von der Dieter gesprochen hatte. Und den Jungen mit dem Blinddarmdurchbruch. Ob sie noch lebten? Die Frau sicher nicht. Der Junge? Vielleicht …
'Vorausgesetzt, ich brächte den nötigen Mumm dafür auf', hörte er sich selbst immer wieder sagen.
Er sinnierte über die Forschungen, über die Gothaer gesprochen hatte.
Welcher Natur waren sie? Was meinte er damit, das Geschehene ungeschehen zu machen?
Frank bildete sich ein, die beschriebenen Krächz-Laute des malträtierten Mädchens zu hören. In seinem Geiste wurden sie so real, dass er beinahe die Augen geöffnet und sich umgesehen hätte.
Eine Menschenfabrik , dachte er, alleine für Versuchszwecke erschaffene Kinder .
'Vorausgesetzt, ich brächte den nötigen Mumm dafür auf.'
Er saß in der Sonne und fror.
Seine Gedanken drehten sich seit dem Zu-Bett-Gehen am gestrigen Abend in einer nicht enden wollenden Spirale.
Krebsgeschwüre überwucherten vor seinem inneren Auge in unglaublicher Geschwindigkeit alles, woran er sich erinnerte, und alles, woran er je geglaubt hatte.
Seine Kindheit, seine Jugend, seine Militärzeit …
Seine Mutter, seinen Vater, seine Kameraden, Karen und schließlich ihn selbst.
'Vorausgesetzt, ich brächte den nötigen Mumm dafür auf.'
Gestohlene Organe, Gestapo, Versuche an Kindern, Gewalt, zerfressene Frau, Willkür, befohlene Schwangerschaftsabbrüche, Terror, Staatsterror, Militär, besetzte Gebiete, Vertreibung, Folterungen, Exekutionen, Völkermord, 'am deutschen Wesen soll die Welt genesen'.
'Herr Miller, Sie werden nicht nur die Gelegenheit erhalten, zukünftige Verbrechen zu verhindern, sondern auch dazu, bereits geschehene ungeschehen zu machen!'
'Vorausgesetzt, ich brächte den nötigen Mumm dafür auf.'

6
     
    »Wir begannen gestern mit einem Diskurs zur Chaostheorie«, begann Gothaer nach der obligatorischen Überprüfung seines Wohnzimmers auf Wanzen, »und damit möchte ich auch heute wieder in den Abend einsteigen.«
Gothaer saß wieder in seinem Fernsehsessel, während von den anderen Anwesenden niemand an derselben Stelle Platz genommen hatte, wie gestern.
Karen hatte als erste einen der Sessel ausgewählt und mit einem kurzen Nicken Frank neben sich aufs Sofa gebeten.
Frank erinnerte sich: So hatte sie auch früher schon bewusst versucht, keine Strukturen entstehen zu lassen, um die Gruppendynamik zu fördern und besonders in größeren Kreisen die Bildung informeller Gruppen zu behindern.
Unbewusst setzte sich sonst jeder meist automatisch auf den ihm schon vertrauten Platz.
Karens Trick hatte mal wieder funktioniert.
Ein kurzer Moment der Irritation war die einzige Reaktion.
»Wir sprachen davon, dass eine nicht messbare Anzahl von Einflüssen Auswirkungen auf – zum Beispiel – das Wetter haben kann. Und wir kamen zu der Erkenntnis, dass nur mittels Versuchen herausgefunden werden könnte, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Flügelschlag unseres angelsächsischen Schmetterlings tatsächlich Einfluss aufs Wetter in Germania nimmt.«
»Eine zugegebenermaßen hypothetische Erkenntnis«, führte Frank fort, »da waren wir uns einig.«
»Was Sie jedoch nicht wissen, Herr Miller«, und Gothaer sah ihm dabei freundlich lächelnd durch seine Brille an, »dass wir der Durchführung einer solchen Versuchsreihe viel näher sind, als Sie glauben.«
»Wie meinen Sie das?«
Auf Franks fragendem Gesichtsausdruck ruhten die wissend-lächelnden Mienen seiner Kommilitonen.
»Bereits 1999, vor über fünf Jahren, konnte ich erstmalig den wissenschaftlichen Beweis für etwas erbringen, wofür Einstein, Lorenz, Mandelbrot und viele andere die theoretische Basis formuliert hatten.«
Er machte eine Pause. Wann hatte er schon einmal die Möglichkeit, die Früchte seiner Arbeit, die strengster Geheimhaltung unterlagen, mit vor Stolz geschwellter Brust darzureichen?
»Die Existenz paralleler nichtlinearer Systeme.«
Frank benötigte einige Sekunden, um das Gehörte zu verdauen.
»Sie meinen alternative Ebenen, parallele Welten?«, fragte er ungläubig.
Gothaer bestätigte.
»Lassen Sie mich mit einem Zitat von Albert Einstein fortfahren: 'Zwei Dinge sind unendlich: Das Universum und die Dummheit der

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