Alles bleibt anders (German Edition)
Lebenslauf. Vielleicht finden Sie ja selbst heraus, welche Gemeinsamkeit dies ist. Ich werde später darauf zurückkommen. Mein heutiger Bericht ist nämlich noch genau so wenig am Ende, wie meine Forschungen es sind.«
Es wurde wieder mucksmäuschenstill im Wohnzimmer und der Professor erzählte weiter.
»Damaliger Stand der Dinge war also, dass ich an diesem 14. März 1999 bewiesen hatte, dass es alternative Welten gab. Die Crux daran aber war, dass all jene angemessenen Welten ihren Ursprung just an jenem 14. März 1999 hatten. Ihnen war allen gemeinsam, dass sie die gleiche Historie hatten, bis zum Zeitpunkt X, eben jenem 14. März 1999. Dass das nicht alles sein konnte, war mir klar. Es musste alternative Realitäten geben, deren Punkt X – so bezeichnete ich fortan jenen Zeitpunkt, zu dem sich die untersuchte Realität von meiner eigenen abspaltete – vor dem 14. März 1999 lag. Nur: Wie beweisen? Erst dreieinhalb Jahre später, im Oktober 2002 gelangte ich zum entscheidenden Durchbruch. Es war nur eine Kleinigkeit, eine simple Variable, die ich stets in meinen Formeln vernachlässigt und als irrelevant erachtet hatte. Ich hatte tragischerweise über drei Jahre vergeudet, obwohl die Lösung vor meinen Augen lag. Professor Hemmbacher grübelt übrigens immer noch über diesem Problem.«
Beim letzten Satz lächelte er verschmitzt.
»Danach drängten sich mir die Konsequenzen regelrecht auf. Die Situation glich einem Dammbruch. Ich hatte ein winziges Loch in den Damm gebohrt und das Wasser drückte beständig ausbreitende Risse in die Dammmauer, bis diese in einem großen Bersten zerbrach. Es lag alles so klar und offen vor mir. Plötzlich maß ich Ebenen mit negativer Realitätsabweichung an, also Realitäten, deren Zeitpunkte X vor dem 14. März 1999 lagen. Anzahl und Werte wuchsen in weitaus geringerer Größenordnung an wie die bereits angemessenen Ebenen mit positiver Abweichung, denn sie sind deutlich schwieriger zu lokalisieren. Und noch etwas kristallisierte sich heraus: Mir wurde bewusst, dass es möglich sein musste, zwischen den Ebenen hin und her zu reisen.«
»Wie bitte?«, fragte Frank ungläubig. »Ich verstehe nicht. Nehmen Sie mich auf den Arm?«
»Nichts liegt mir ferner«, strahlte der Professor.
Karen beugte sich nach vorn und griff nach einem etwa zwanzig Blätter dicken Stapel Papier, der auf dem Wohnzimmertisch lag und über den Frank sich genauso gewundert hatte, wie über die Stecknadel mit dem roten Kopf, die daneben lag.
»Das Beispiel, Herr Gothaer«, sagte sie und der Professor nahm den Stapel entgegen.
»Stellen Sie sich vor, Herr Miller«, mit dem Daumen fuhr er an der Längskante des Papierstapels entlang und fächerte ihn etwas auf, »jedes dieser Blätter ist eine unserer alternativen Ebenen.«
Er zeigte die Abbildung auf der ersten Seite, die auf der zweiten und die auf der dritten: Sie waren alle identisch.
»Die Dimensionen der Ebenen habe ich mittels dieser Tabelle dargestellt, die Spalten habe ich überschrieben mit Oxford, London, Paris, Köln, Germania, Königsberg und die Zeilen mit 1999, 2000, 2001, 2002, 2003, 2004, 2005, 2006.«
Er ordnete den Stapel, so dass alle Blätter wieder exakt übereinander lagen. Dann griff er zu der Stecknadel und setzte sie im rechten Winkel zum Papier in das Feld, in dem sich die Spalte 'Oxford' und die Zeile '2004' kreuzten.
»Es ist natürlich eine stark vereinfachte Darstellung, aber ich glaube, es veranschaulicht, was ich Ihnen erklären möchte!«
Er drückte die Stecknadelspitze in den Stapel hinein: »Die Stecknadel steht für den Korridor, den ich erschaffen habe. Ein Korridor zwischen den Ebenen.«
»Der G-gothaer-Korridor«, benannte ihn Tristan.
»Beachten Sie, Herr Miller, dass ich die Stecknadel im rechten Winkel führe. Einen Korridor zu schaffen, mittels dessen man gleichwohl Raum und Zeit wechseln kann, ist mir nicht geglückt.«
» Noch nicht«, ergänzte Dieter.
»Ja, ich arbeite daran«, bestätigte der Professor.
Frank schwirrte der Schädel.
»Wozu das alles? Worauf wollen Sie hinaus? Warum haben Sie mich eingeweiht?«
»Wir«, begann der Professor und blickte dabei ernst in die Runde, »suchen eine Welt, die der unseren gleicht, mit einem kleinen, aber gewichtigen Unterschied.«
»Und der wäre?«
»Wir suchen eine Welt, in der es keine NSDAP gibt. Wir legen alles daran, den Nationalsozialismus ungeschehen zu machen. Wir wollen ihn schlicht und einfach, mit Stumpf und Stiel aus unserer Geschichte tilgen.«
»Eine
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