Alles bleibt anders (German Edition)
gewonnenen Erkenntnisse auswerten, bevor der nächste Schritt gemacht wurde.
Professor Gothaer, der geistige Kopf der Gruppe, blieb auch deren Motor. Die vier Studenten waren sehr bemüht, dem Professor im Rahmen ihrer Möglichkeiten jegliche Unterstützung zu gewähren. Über eine bloße Assistentenrolle kamen sie jedoch häufig nicht hinaus. Je mehr das Forschungsprojekt voran schritt, desto größer wurde der Respekt, den sie ihm zollten. Oftmals führten sie einfach aus, was er ihnen auftrug, ohne die originären und kausalen Zusammenhänge in ihrer Gänze zu verstehen. Falls dem Professor etwas zustoßen sollte, das war Frank bald klar, konnten sie ihren Plan begraben.
Einzig Tristan beeindruckte die anderen mit seinem immensen Wissen, was Rechner, Programme und die reichsweite Datenvernetzung betraf. Einmal kritisierte Frank, dass es sehr unvorsichtig wäre, die beiden Rechner im Keller der Fakultät so offen herumstehen zu lassen, auch wenn in den anderen Kellerräumen ebenfalls alte Rechner lagerten und die Räumlichkeiten dort unten wirklich nicht den Eindruck erweckten, dass in ihnen eine Verschwörung ihren Anfang nahm. Was wohl passieren würde, wenn sie der Gestapo in die Hände fielen, wollte er wissen. Frank hatte Tristan noch nie so laut und schallend lachen hören und Frank starrte irritiert auf ihn und die neben ihm wissend schmunzelnde Karen. Mit einer Vielzahl von Fachbegriffen und beinahe ohne jegliches Stottern erklärte ihm Tristan in einer vorher nicht erlebten Selbstsicherheit, dass die Festplatten auf dem Rechner de facto leere Hüllen wären. Die Gestapo würde ein medizinisches Standard-Programm entdecken, wie es an jeder Reichshochschule Verwendung fand, an der Medizin gelehrt wurde und zudem einen Zugang zu externen Datenbänken. Wo die ganzen Daten abgespeichert wären, hakte Frank nach, und an welcher Stelle der Rechner stehe, der die alternativen Realitäten anmisst. Tristan lächelte triumphierend. Die Datenpakete habe er verschlüsselt, gepackt und geteilt, und das mehrfach, erklärte er. Und er habe sie übers Netz auf sämtliche Hochschulrechner des Reichs ausgelagert. Hier eine Datei und da eine Datei, wie er sagte. Ursprung und Inhalt wäre nicht mehr erkennbar, sollte eine der Dateien einmal per Zufall entdeckt werden. Dies sei auch schon passiert, habe Gothaers Forschung aber nur unwesentlich zurückgeworfen; es sei ein Risiko, das man eben eingehen musste. Besonders wichtige Daten habe er auch in seinen Speicherstäben. Doch auch diese seien für jemanden wertlos, der weder Zusammenhänge noch die angewandte Verschlüsselung kenne. Dass der Rechner zur Anmessung der anderen Ebenen sich direkt an der Universität in Germania selbst befand, inmitten der Löwengrube, das erfuhr Frank erst viel später. Ob Tristan glaube, er könne die Gestapo und sämtliche Spezialisten des Reiches zum Narren halten, fragte Frank skeptisch und Tristan antwortete mit einem einfachen »Ja!« Frank blieb nichts anderes übrig, als ihm zu vertrauen.
Nach einem kurzen Herbst hielt der Winter Einzug in den Cotswolds und weckte unangenehme Assoziationen bei Frank. Dachte er ohnehin schon viel an seine Zeit im Gotengau und in der Stadt des Endsiegs, so wuchsen die Erinnerungen mit der einbrechenden Kälte und dem Schnee noch eindringlicher an. Nicht nur einmal hatte er gesehen, wie der Schnee sich gerötet hatte, von einer Person, die erschossen worden war. Meistens waren es einheimische Männer gewesen, seltener eine Frau, ein Kind oder ein Wehrmachtssoldat. Sein Gewissen quälte ihn. Ein Winter reichte sicher nicht aus, das Erlebte zu verdrängen und wieder die Schönheit verschneiter Zweige, zugefrorener Teiche oder tanzender Schneeflocken zu entdecken. Frank stellte sich seiner Vergangenheit, die oftmals das Gespräch zwischen Karen und ihm beherrschte auf den vielen Spaziergängen, die die beiden durch die malerische angelsächsische Landschaft unternahmen. Nein, er habe niemanden erschossen, er habe keinem persönlich ein Leid zugefügt, beantwortete er Karens Frage. Doch zugesehen habe er sehr wohl und meistens auch gewusst, was um ihn herum passierte. Eingeschritten war er nur dann, wenn für ihn selbst keine Konsequenzen entstehen konnten. Das sei bei weitem an Schuld genug, meinte er. Karen kommentierte dies nicht.
Karen und Frank gingen einfach, wenn die gefallene Schneemenge das erlaubte, querfeldein über die umliegenden Hügel oder besuchten die nahe gelegenen Dörfer Burford und
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