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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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verhältnismäßig moderaten Reaktion des Scheibeneinschmeißens ließ sich jemand bewegen, auch die körperliche Unversehrtheit der Betreffenden blieb gewahrt, keine Beulen, Blutergüsse, ganz zu schweigen von gebrochenen Gliedmaßen, ja, nicht einmal Verbalinjurien bekamen die Herrschaften zu hören. Der ganze Hass, den ihre Aktionen auslösten, richtete sich in bewährter Weise nach innen, auf die Opfer selber, die vielfältige Aggressionsakte gegen sich und ihr familiäres Umfeld setzten. Das meiste davon blieb verborgen und war auch nicht so drastisch wie im Falle des Josef Mannhard, der … Aber wir greifen vor.
    Direktor Baumann litt psychisch unter den Ungerechtigkeiten genauso wie nur irgendein kleiner Kreditnehmer, es waren nur verschiedene Ungerechtigkeiten. Der Schuldner beklagte, dass ihm der Kredit fällig gestellt wurde. Baumann, dass die Wiener Bankspitze nicht in den sozialen Abgrund stürzte und er selber den Platz ganz oben einnehmen durfte. Es waren, das wusste er, die Zahlen, die ihm das ermöglichen würden; schließlich handelte es sich um eine Bank, da galten jenseits aller Vetternwirtschaft und politischer Postenschieberei immer noch die Zahlen. In Zeiten der Krise mehr denn je. Angeschlagen waren die Herren nämlich schon – wenn überhaupt ein Provinztalent eine Chance bekommen sollte, dann jetzt, da unruhige Blicke von Wien in die Provinz fielen, weil es ja, bittesehr, so wie bisher auch nicht weitergehen kann, alles, was recht ist! Wenn er unter diesem Scanner eine Chance bekommen wollte, mussten seine Zahlen besser sein als der Durchschnitt, deutlich besser. Seine Zahlen waren aufgrund des Wahrtraums schon sehr gut gewesen, das reichte aber nicht – wenigstens ein Teil des Erfolges musste auf die strikte Befolgung der Anweisungen der Zentrale zurückzuführen sein; mit den Höhenflügen eines Finanzgenies konnte man eben jetzt dort nichts anfangen. Die wichtigste Anweisung lautete, den verdammten faulen Pöbel endlich an die Kandare zu nehmen und zum Zahlen zu bewegen. So wurde das natürlich nicht formuliert, es war aber allen klar, was gemeint war: Diese Leute bauten Häuser, kauften Protzautos, von denen ihre Väter nicht einmal zu träumen gewagt hätten, und fuhren zweimal im Jahr auf Urlaub. Alles mit dem Geld anderer Leute. Das musste aufhören. Wer es am schnellsten und radikalsten aufhören ließ, würde hoch steigen. Direktor Baumann war entschlossen, derjenige zu sein. Also nahm er die Kreditkunden an die Kandare. Deutlich rigoroser als seine Kollegen. Einer dieser Kunden war Josef Mannhard, der mit vielen anderen die Neigung teilte, über seine Verhältnisse zu leben. Nicht viel, das nicht – bei freundlicherer Vorgangsweise hätte sich auch ein Weg finden lassen, die Fälligstellung des zum Hausbau aufgenommenen Schweizer-Franken-Kredits zu vermeiden, nachdem dieser Kredit durch den dramatischen Wertverlust des aktienbasierten Tilgungsträgers notleidend geworden war. Einer mitfühlenden Bankseele wäre etwas eingefallen, solche Seelen gab es ja, aber Direktor Baumann hatte verfügt, die »weiche Welle«, wie er es nannte, sei nun vorbei, und er hatte dies seinen Untergebenen so deutlich dargestellt, dass kein Interpretationsspielraum mehr blieb.
    Wir wollen nichts beschönigen: Josef Mannhard war an seiner Lage zum Großteil selber schuld. Musste er als Versicherungsangestellterin mittlerer Position unbedingt einen Mercedes der E-Klasse fahren? Und musste die Tochter ein Pferd haben? Von seiner Frau sind keine Extravaganzen bekannt, es reichte auch so. Dafür nämlich, Herrn Mannhard durch die Fälligstellung des Kredits in eine recht heikle Lage zu bringen, fehlten nun doch jene Reserven, die er mit seinem ansehnlichen Gehalt gut getan hätte aufzubauen. Die unglücklichen Folgen der Situation sind durch Medienberichte sattsam bekannt. Am 11. November, dem Martinitag, fuhr Josef Mannhard mit seinem E-Klasse-Mercedes in den BayWa Bau & Gartenmarkt in Lauterach und erstand einen sogenannten Zabin , ein axtartiges Werkzeug, und eine Rolle Seil. Er bezahlte bar, fuhr nach Hause und erschlug mit dem Zabin Frau und Tochter; danach erhängte er sich mit dem gekauften Seil, wobei die offene Architektur seines Griffner-Fertigteilhauses, Modell Pult diesem Vorhaben entgegenkam, es gab da eine Galerie, von der er mit der Schlinge um den Hals nur hinunterspringen musste. Er war sofort tot, wie auch Frau und Tochter sofort tot gewesen sein mussten, die fünfundzwanzig Zentimeter

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