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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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gewesen. Anton Galba war sich nicht sicher, ob er selber so ein TÜV-Siegel erhalten hätte. Und Hilde war sich offenbar auch nicht mehr sicher. Als sie ihm sagte, er solle zum Arzt gehen, »weil er schwer auszuhalten sei«, begann er deshalb keine Diskussion, das »schwer auszuhalten« war deutlich genug. Die Töchter unterstützten den Vorschlag der Mutter, das war in dieser Familie von Anfang an so gewesen. Dietlinde, die Ältere, kam eben aus Wien auf Besuch, wo sie an der BOKU studierte; sie erläuterte in gewohnt ruhiger Art die Gefahren des Burn-out-Syndroms, das man so oft unterschätze; die jüngere Marianne, die sich auf die Matura vorbereitete, nickte bei der Rede ihrer Schwester, worin man nach den Codes der Familie Galba rückhaltlose Zustimmung erblicken durfte. Alle waren dafür, dass er sich behandeln ließ. Er versprach, gleich morgen einen Termin mit Dr. Harlander auszumachen.
    Das Problem bestand nur darin, was er ihm erzählen sollte, dem Dr. Harlander. Die Wahrheit eher nicht.
    – Ich habe so furchtbare Träume, Herr Doktor. –
    – Ach ja? –
    – Ich träume, ich drehe Menschen durch unseren Häcksler für Abfallfleisch. Immer derselbe Traum. –
    – Ach, das ist aber interessant! Typische Übertreibung … Welches reale Ereignis steckt dahinter? –
    – Also, Übertreibung … direkt Übertreibung eigentlich nicht … nein, Übertreibung kann man nicht sagen … –
    Wie sollte dieser Dialog weitergehen? Er wurde nicht fertig mit dem, was er getan und wobei er mitgeholfen hatte, davon kamen die Träume, davon kam die Impotenz. Über diese Ursachen konnte er mit Dr. Harlander nicht sprechen. Worüber dann? Das wusste er auch noch nicht, als er schon im Auto saß und nach Lochau in die Praxis fuhr.
    Galba kannte Harlander schon ewig, sie waren zusammen ins Gymnasium gegangen, studierten beide in derselben Stadt, der eine Medizin, der andere Technik; der eine wurde der Hausarzt des anderen, daran änderte auch nichts, dass Harlander seine Praxis in Lochau eröffnete, weil er dort Gemeindearzt wurde. Das war für einen Dornbirner nicht gerade ums Hauseck, erst ein paar Kilometer nach Bregenz, dann weitere Kilometer durch den Pfändertunnel. Aber das spielte keine Rolle, für Galba kam kein anderer Arzt in Frage, auch Harlander selbst hatte nie angedeutet, ob nicht ein Dornbirner Arzt bequemer zu erreichen wäre.
    Dr. Gebhard Harlander opferte sich für seine Patienten auf, hatte immer das Wartezimmer voll, dazu die Hausbesuche, das volle Programm. Er wurde bewundert. Vor allem deshalb, weil er es gar nicht nötig hatte. Dr. Harlander hatte geerbt. Nach dem mysteriösen Absturz der Privatmaschine seines gleichnamigen Vetters war das aus undurchsichtigen Firmenverstrickungen bestehende »Harlander-Imperium« zusammengebrochen –aber eben nicht so, dass dabei nichts übrig geblieben wäre. Zwar galten die zahlreichen erbenden Verwandten einander alle durch herzliche Abneigung verbunden, was Streitereien zur Folge hatte, die bei entsprechender Erbitterung die Reste des Harlandervermögens in die Kanzleien diverser Anwälte gespült hätte, aber da es sich bei diesen Verwandten um durchschnittliche Vorarlberger handelte, überwog die ökonomische Vernunft, ein Crash wurde vermieden, und zwanzig (andere Quellen sprechen von über dreißig) Personen durften die jeweiligen Zwänge des Broterwerbs hinter sich lassen, hieß es. Etwas Genaueres wusste man nicht, es kursierten nur Gerüchte; Harlander sprach über sein Vermögen ebenso wenig wie die anderen Mitglieder des Clans, so etwas tat man nicht. Alle Lochauer waren sich aber einig, dass Dr. Gebhard Harlander nicht mehr hätte arbeiten müssen. Dass er es dennoch tat, ließ ihn in der Achtung seiner Mitbürger höher steigen, als noch so überragende medizinische Fähigkeiten dies vermocht hätten.
    Anton Galba hatte einen Spezialtermin, er kam schon nach fünf Minuten dran.
    »Wie geht’s?«, fragte der Arzt, das bezog sich aber nicht, wie Galba wohl wusste, auf den Gesundheitszustand, sondern war so gemeint, wie diese Floskel unter guten Bekannten gemeint ist, die sich länger nicht gesehen haben und an einer ausführlichen Antwort interessiert sind. Galba konnte also nicht antworten: »Gut, man lebt«, und dann auf den Grund seines Hierseins schwenken, sondern musste schon ein bisschen was aus seinem täglichen Leben erzählen. Das tat er nun auch. Dr. Harlander erfuhr, dass Galbas Jüngere sich auf die Matura vorbereite und niemand in der

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