Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
Abzäunungen zu. Selbst die Kinder wissen genau,
was zu tun ist. Beherzt packen sie die Tiere an den Hörnern oder am Nacken und drängen die störrischen Schafe in die zugewiesenen
Pferche. Je mehr Platz im Kreis ist, desto schwieriger wird das, denn inzwischen haben die Schafe sich erholt und winden sich
immer wieder geschickt aus dem Klammergriff. Sveina plaudert in den kurzen Pausen mit den anderen Helfern, die sich genau
wie sie farbenfroh gekleidet haben. Bäuerin Margrét B. Hjarðar, Magga genannt, trägt eine orange leuchtende Fischerhose, dazu einen dicken Wollpulli samt Treckingjackeund eine bunt geringelte Bommelmütze. Die 4 7-Jährige besitzt insgesamt 380 Schafe, dazu kommen jede Saison noch Hunderte Lämmer. Meist machen Magga und ihre Kollegen das Réttir drei oder vier Mal im
September, denn es ist unmöglich, alle Tiere beim ersten Anlauf zu finden. Am späten Nachmittag sind zumindest diese sortiert,
sodass die Besitzer sie auf Trucks zum Bauernhof fahren können, wo sie nun in den nächsten Wochen auf abgezäunten Wiesen weiden.
»Das heute war ein kleiner Schafabtrieb«, sagt Magga noch, bevor sie losfährt, »in anderen Regionen der Insel werden bis zu
8000 Tiere an einem Tag gesammelt.«
Sveina steht jetzt der Sinn nach etwas Süßem, sie besucht eine Freundin im Dorf. Die Isländerin klingelt nicht, sondern geht
direkt rein, zieht sich ihre schmutzigen Schuhe und die Hose aus, kurz darauf sitzt sie in Wollunterwäsche in der Küche. Es
gibt selbst gebackenen Blaubeerkuchen mit jeder Menge Kokosflockenund Sahne, dazu frisch gebrühten Kaffee. Im einstöckigen Haus wuseln noch zwei Kleinkinder, die Tochter samt Schwiegersohn,
die Mutter und weitere Freunde herum.
Meer aus Wolle: der Schafabtrieb
Wie die Familien hier früher lebten, ist beim Blick aus dem Küchenfenster zu sehen. Direkt nebenan steht ein Torfhaus aus
dem Jahre 1899, es trägt den Namen Lindarbakki und gehört Elísabet Sveinsdóttir, die jedoch nur im Sommer hier wohnt, die
restliche Zeit des Jahres verbringt sie im rund 800 Kilometer entfernten Kópavogur. Zum Glück hat Sveinas Freundin den Schlüssel zum Haus. Also Hose und Schuhe wieder an und
abtauchen in ein anderes Jahrtausend.
Der größte Teil des Lindarbakki inklusive des Daches ist von einer dicken Grasschicht überwuchert. Nur an den Seiten und rund
um die Eingangstür wurde später eine holzverkleidete Fassade gebaut, die nun in leuchtendem Rot gestrichen ist. Jeder Winkel
erzählt eine eigene Geschichte: Neben dem antiken Ofen stehen Keramikkannen, an den Wänden hängen gehäkelte Topflappen, im
Schlafzimmer zieren Teller, ein Schachbrett und eingerahmte Fotos die Wände – darunter ist auch einesvon Lenin. »Ja«, sagt Sveina und lächelt, »Elísabet ist eine Kommunistin.«
Elísabets Holzhaus von 1899
Auf rund dreißig Quadratmetern findet sich alles, was die Genossin zum Wohnen braucht. Dazu zählen eine Küche mit Wohnbereich,
ein Schlafzimmer, ein Bad. Früher lebte Elísabet im Lindarbakki gemeinsam mit ihrem Mann Skúli, nachdem der verstarb, kommt
die alte Dame alleine. Da vor dem hübsch hergerichteten Grundstück eine Informationstafel steht, denken viele Touristen, das
Torfhaus sei ein Museum und gehen einfach rein und erschrecken sich, wenn sie eine Frau beim Mittagsschlaf überraschen. »Elísabet
stört das nicht, sie findet es sogar lustig und freut sich über jeden Besuch«, sagt Sveina.
Nur unweit des Lindarbakki liegt Sveinas Elternhaus. Von dort aus blickt die Familie direkt auf den Álfaborg, den Elfenberg.
In dem grün bewachsenen Lavahügel soll angeblich die Elfenkönigin leben, weshalb das Dorf die »Hauptstadt der Elfen« genannt
wird. Sveina selbst hat bisher keine einzige gesehen, einer ihrer Söhne schon. »Man soll am Álfaborg nicht zu laut sein und
keine Steine mitnehmen«, sagt die 5 2-Jährige . Daran halte sie sich, auch wenn sie nicht weiß, ob es diese Wesen wirklich gibt.
Im Vorgarten ihres Elternhauses liegen viele Steine: mit Flechten bewachsene Lavabrocken, Bergkristalle, schwarze Onyxe, Opale,
glitzernde Amethysten, rote und braune Jaspisse. Die Familie hat sie am nahe gelegenen Strand oder in den Bergen gesammelt.
Nahe des mystischen Hügels liegt die Kirche von Bakkagerði. Eigentlich überlegte die Gemeinde vor vielen Jahren, das Gotteshaus
direkt auf dem Álfaborg zu errichten, doch es heißt, dass in der Nacht vor der Entscheidung einem der
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