Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
der nahe gelegenen Fabrik in die Nase. In so gut wie jedem Dorf wird Fischerei oder Landwirtschaft
betrieben.
Ohne die genügsamen Schafe hätte das Inselvolk vermutlich nicht überlebt, und bis heute sind die Tiere ein wichtiger Bestandteil
der heimischen Landwirtschaft. Den ganzen Sommer über haben sie ihre Ruhe; sie fressen im Hochland Gräser und Kräuter, trotten
von einem Hügel zum nächsten, knabbern an den Küsten genüsslich Seegras und klettern leichtfüßig jeden noch so steilen Berg
hinauf. Manchmal hupen Autofahrer, wenn sie plötzlich auf die Straße springen, doch das war es dann auch schon mit der Aufregung.
Ansonsten herrscht zufriedene Gelassenheit in der unendlichen Wildnis.
Isländische Schafe sind zäh, furchtlos und sie weiden sogar in so kargen Gegenden, dass ein Tourist mal verwundert fragte,
ob die Tiere eigentlich Steine futtern, weil er sich einfach nicht vorstellen konnte, wovon sie sich dort oben ernähren. Tatsächlich
grasen Schafe alles ab, was ihnen über den Weg läuft, deshalb werden Baumzöglinge, die bei der Aufforstung Islands helfen
sollen, auch stets eingezäunt. Im September ist das Sommermärchen vorbei, dann treiben die Farmer ihre Schäfchen vom Hochland
hinunter in die Täler. Auf 320 000 Isländer kommen über 460 000 gefräßige Wollknäuel, und obwohl viele Isländer im Alltag ein modernes, städtisches Leben führen, fahren sie aufs Land,
um beim traditionellen Réttir, dem Schafabtrieb, dabei zu sein. Manche als Zuschauer, doch die meisten packen tatkräftig mit
an. Das ist dringend nötig, denn die störrischenSchafe haben eigentlich gar keine Lust, ihre Berge zu verlassen.
Genüssliches Leben in Freiheit bis September
In Borgarfjörður eystri treffen sich an diesem Samstag im September rund vierzig Isländer zum Réttir. Ganz früh am Morgen
steigt die erste Gruppe mit den flinken Border Collies zu Fuß oder auf Pferden den Staðarfjall hinauf. Er ist einer der farbenprächtigen
Berge, der den Fjord im Nordosten Islands einrahmt und so besonders macht. Im Tal liegt die Gemeinde Bakkagerði mit seinen
knapp 130 Einwohnern. Die 5 2-jährige Sveina und ihr Mann sind in dem Ort aufgewachsen, doch da beide ihre Jobs verloren, zogen sie vor einigen Jahren ins siebzig
Kilometer entfernte Egilsstaðir. Das Familienhaus, in dem Sveina mit ihren neun Geschwistern aufwuchs, steht ihnen aber immer
offen.
Die Isländerin hilft heute freiwillig mit und trägt extra ein rotes Wanderoutfit, damit sie im dunkelgrün-braun schattierten
Gebirge leicht zu erkennen ist. Sveina bewacht die Seitenhänge des rund 600 Meter hohen Staðarfjall, denn die Schafe sollen schnurstracks den Berg hinunter ins breite Tal von Borgarfjörður eystri laufen.
Sobald sich eines in ihre Nähe verirrt, bringt die kleine Frau es mit lauten Rufen und kräftigem Gestikulieren wieder auf
den richtigen Weg. Das Ziel: ein rundes Gatter am Rande des Ortes Bakkagerði, das einem riesigen Holzwagenrad ähnelt.
Rund 500 Schafe treiben sie heute zusammen, von oben sieht die trippelnde Masse aus wie ein weißer Fluss, der sich langsam den dunklen
Hang hinunterschlängelt. Auch kurz vor dem Ziel büxen einige Schafe im weitläufigen Tal aus. Doch es stehen Bauern, deren
Familien und freiwillige Helfer bereit, sie brüllen laut und fuchteln wild mit ihren Armen; und wenn selbst dasnichts hilft, jagt einer der Hirtenhunde die Schafe zurück in die Herde.
Gegen 15 Uhr sind alle Tiere auf einer großen eingezäunten Fläche versammelt. Sie schnaufen, manchen hängt die Zunge heraus. Was für
ein Stress! Die letzten Monate haben sie sich ein ordentliches Polster angefuttert, ihr dickes Fell ist ebenfalls gewachsen.
Das war ja auch ihr Job. Die Bauern gönnen sich und den Schafen eine kurze Pause. Nach einer starken Tasse Kaffee beginnt
der zweite Teil der Arbeit: die Zuordnung der Schafe. Jedes hat an den Ohren eine Kennnummer, sodass man weiß, welches Tier
zu welchem Bauern gehört.
Jeweils fünfzig Schafe werden nun in den inneren Kreis des riesigen Wagenrades getrieben, von dort gehen sternförmig nummerierte
Pferche ab. Sie sind so dicht gedrängt, dass sie ihren Kopf auf den Rücken des anderen legen müssen – ein blökendes Meer aus
Wolle. Die meisten Schafe tragen weißes Fell, dazwischen sind einige braune, schwarze und sogar schwarz-weiß gefleckte.
Nun quetschen sich noch die Helfer rein, ordnen die Schafe den jeweiligen
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