Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
dreißig, er arbeitete eigentlich in Italien und befand sich gerade
auf Heimatbesuch. Er sah gut aus, war aber sehr betrunken, lallte. Wir hatten bisher kaum miteinander gesprochen. »Du bist
sooo hübsch, ich will dich küssen!«, sagte er zu mir. Ich schüttelte verneinend den Kopf, lächelte aber freundlich zurück
und tippte weiter meine SMS fertig. »Wem schreibst du? Ich beneide ihn so sehr«, und dann fügte er hinzu: »Ich möchte Sex
mit dir haben.« Kurz darauf flüchtete ich ins Wohnhaus der Gastgeber, erzählte es einer Freundin. Sie sagte nur: »Ach, der.
Der ist einer der besten Cellospieler Islands, er ist sicher gut im Bett. Wenn ich nicht liiert wäre, würde ich gerne die
Nacht mit ihm verbringen.« Da ich damals Single war, hätte ich es durchaus ausprobieren können, doch wer einigermaßen bei
Sinnen ist, geht nicht mit einem lallenden Mann ins Bett. Dachte ich. »Wenn er ein netter Kerl ist, spricht doch nichts dagegen«,
meinte die Freundin.
Genauso viele Geschichten, Klischees und Mythen, wie es über den Popstar Björk gibt, ranken sich auch um das Nachtleben. Spätestens
seit Hallgrímur Helgason ›101 Reykjavík‹ veröffentlichte und das Buch im Jahr 2000 verfilmt wurde, strömen viele Touristen in die Hauptstadt, um das promiskuitive
Feiern der Isländer zu erleben – und vielleicht sogar daran teilzuhaben. Zeitweise warb eine isländische Fluggesellschaft
mit doppeldeutigen Werbeslogans wie »One-Night-Stand in Island«. Ein isländischer Reiseführer spielt ebenfalls damit, indem
er bei denzehn beliebtesten Dingen, die man in Island tun kann, als neunten Punkt »Einen Isländer ins Bett kriegen« auflistet. Auch
Quentin Tarantino, der mehrfach zu Besuch war, schwärmte schon in amerikanischen Late-Night-Shows von den hübschen und ekstatischen
Isländerinnen, die lasziv auf den Tischen tanzen. »Normalerweise versuchen wir in Amerika, die Frauen so betrunken zu machen,
dass sie mit einem nach Hause gehen. In Island musst du die Mädels nach Hause bekommen, bevor sie so betrunken sind, dass
sie umkippen oder dich vollkotzen. Das ist der Trick«, verkündete der ›Pulp Fiction‹-Regisseur im U S-Fernsehen . Und machte sich damit nicht gerade viele Freunde in Island. Auch die Tatsache, dass er in Reykjavík eine Party organisierte,
zu der nur die Frauen freien Eintritt hatten, fanden nicht alle toll.
Die Isländer reißen selbst Witze darüber, wie lässig und wild es bei ihnen zugeht. Sobald dies jedoch ein Ausländer feststellt,
sind viele pikiert. Auch ich kann Tarantinos Beschreibung nicht wirklich teilen, denn die meisten meiner Freunde trinken am
Wochenende nicht so viel, dass sie umkippen. (Vielleicht sind sie auch schon zu alt.) Also zitiere ich lieber noch einen Isländer,
Hallgrímur Helgason, der mit seinem Roman das Ganze ja ins Rollen brachte. Er beschrieb das Reykjavíker Nachtleben für das
Reisemagazin ›Merian‹ mal so: »Wilde Wochenenden waren auch ein notwendiges Mittel der Fortpflanzung: Bis Ende des 20. Jahrhunderts wurde mehr als die Hälfte der isländischen Bevölkerung am Sonntagmorgen zwischen drei und sechs Uhr gezeugt.«
Damals schlossen die Bars noch um drei Uhr nachts. »Korter í þrjú«, Viertel vor drei, ist bis heute die gängige Umschreibung
für die letzte Chance, in der Nacht einen Lover zu finden.
Eines ist zumindest allen Isländern bewusst. Sie werden ihrer nächtlichen Eroberung garantiert wieder über den Weg laufen,genauso wie den Exbeziehungen ihrer Partner. »Anfangs ist man natürlich schon eifersüchtig«, gibt Þorbjörg Marinósdóttir zu,
»doch das ist Island. Was kann man da schon machen?« Die 2 6-Jährige wird Tobba genannt und ist so etwas die die Carrie Bradshaw Islands. Ähnlich wie die Hauptfigur aus ›Sex & the City‹ schreibt
sie Kolumnen und Bücher über das Daten und die Liebe. Die blonde Isländerin ist perfekt frisiert und geschminkt; sie trägt
einen lässigen schwarzen Pulli, dazu eine hautenge Jeans, Nylonsocken im Tigerlook und Stilettos.
Wenn Tobba über ihren Freund Karl redet, könnte man glauben, die beiden wären schon seit einigen Jahren ein Paar – tatsächlich
sind sie gerade mal anderthalb Monate zusammen. Ihren Freund hat sie indirekt über den Job kennengelernt. Tobba war zu der
Zeit noch Redakteurin beim Klatschmagazin ›Séð og heyrt‹ (Gesehen und gehört), das eine Geschichte über die neuen Abgeordneten
im Stadtrat machte.
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