Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
vierzig
Gäste nun durchs Haus. Die Mutter ist eine gute Freundin von Jóhanna, die wiederum mit Teiturs Vater verwandt war. Sie ist
seine Tante. Außer ein paar Freunden, die extra aus der Hauptstadt angereist sind, kommen die meisten Gäste aus dem Dorf.
Den ganzen Abend über gibt es viele Reden: seine Mutter, seine Schwester, der vielleicht zukünftige Bürgermeister, ein alter
Schulfreund – und dann wird noch der Cousin aus Uganda per Skype zugeschaltet (er ist Jóhannas Sohn). Anschließend veranstalten
die Studien- und Schulfreunde Ratespiele, bei denen zwei miteinander konkurrierende Teams prüfen, wer Teitur besser kennt.
Als Höhepunkt wird das Video gezeigt, das die Mitarbeiterder Fischfabrik von seiner 20 0-Liter -Dusche machten. (Kurz darauf steht der Film auch im Internet.) Zwischen dem Entertainment-Programm finden die Isländer immer
wieder Zeit, eine Zigarette zu rauchen.
Im Einsatz: die Elektropopband FM Belfast
Benefizkonzert der besonderen Art
Die Isländer sind bei ihren Partys – die durchaus auch einen ernsten Hintergrund haben können – erfinderisch. Vor einigen
Jahren organisierten einige Freunde für einen leukämiekranken Musiker in Reykjavík ein Benefizkonzert. Es wurde, na klar,
recht kurzfristig angeleiert. Leuchtend gelbe Plakate machten Werbung für das »Minifestival«, wie sie es nannten. Acht Bands
spielten im Iðnó, der Sänger der Hardrockband Reykjavík! schrie sich mal wieder die Seele aus dem Leib, und die Musiker von
HAM, einer in Island legendären Gruppe, die eigentlich nicht mehr existiert, traten auch noch mal gemeinsam auf. Jede Gruppe
spielte vier, fünf Lieder – das alles wurde gefilmt und live ins Krankenhaus übertragen, wo Úlfur Chaka Karlsson in seinem
Bett lag. Das Eintrittsgeld sammelten die Künstler für die Familie, die auf der Suche nach Heilung viel Geld ausgegeben hatte.
Ihr Minifestival war auch eine Art große Hochzeitsfeier, denn Úlfur hatte an jenem Morgen seine Freundin geheiratet. Zwei
Tage später starb der Musiker im Alter von 31 Jahren, aber erst, nachdem sich alle Freunde und seine Heimatstadt laut und wild von ihm verabschiedet hatten.
Jóhanna zeigt mir im Haus einige Familienfotos, auch alte Schwarzweiß-Aufnahmen der Fischmehlfabrik und historische Bilder
des Tanks, der nun zum Tonstudio umgebaut wurde. Der runde Fischtank von 1925, in dem einst Heringöl gelagert wurde, befindet
sich direkt neben dem Wohnhaus. Und da dessen Betreiber Önundur auch gerade auf der Party ist, geht er mit mir mal eben vorbei.
Sein jüngerer Bruder Halldór greift derweil auf der Party zur Gitarre, er ist professioneller Musiker und spielt in zwölf
Bands. Sobald Halldór ein Lied anstimmt, singen die Gäste mit. Einige glauben, dass die Liebe zum Singen ein Teil ihrer irischen
Wurzeln ist.
Erst Sex, dann Kaffee trinken!
Wo die Verbundenheit und Nähe einer Gesellschaft so groß ist, läuft auch das Kennenlernen meist anders ab: Man sieht sich
in einem dicht gedrängten Club oder auf einer Privatparty, plaudert kurz und landet dann oft im Bett. Vom Sehen her kennen
sich ohnehin viele, ansonsten können Freunde oder Kollegen die neue Bekanntschaft einordnen – durch den Beruf, die Familie
oder aus Schulzeiten. Nach einer gemeinsamen Nacht tauschen manche noch nicht mal Telefonnummern aus, man sieht sich ja eh
wieder. Und landet erneut im Bett. Wenn es dann richtig ernst wird, gehen die beiden auch mal einen Kaffee trinken.
»Wir haben keine richtige Dating-Kultur«, gibt auch Davíð, ein Mittvierziger, zu. Und illustriert es zum Spaß: »Wir greifen
sieeinfach am Arm, und los geht's.« (Das praktizieren die Frauen übrigens ebenfalls.)
Diese Strategie versuchen sie überall und jederzeit. Im kurzen Sommer, wenn es 24 Stunden am Tag hell ist, können sich die Isländer nicht so leicht in einer dunklen Ecke verstecken und unbeobachtet anbandeln.
Es sei denn, man bleibt trotz guten Wetters im Club, anstatt wie die anderen davorzustehen. Die heruntergezogenen Jalousien
sollen drinnen für ein wenig Nachtstimmung sorgen.
Die Partybar aus dem Film ›101 Reykjavík‹
In einer hellen Juninacht saß ich mit acht Isländern an einer langen Bierbank, sie stand im Reykjavíker Hinterhof. Die Gruppe
veranstaltete mehr oder weniger lustige Trinkspiele. Es war schon fast Mitternacht, auch wenn es sich bei strahlendem Sonnenschein
nicht danach anfühlte. Der Isländer neben mir war um die
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