Alles Glück kommt nie
kahl und fast ungebildet, aber nie und nimmer würde er zulassen, dass eine Frau mit einer Last neben ihm herlief.
Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie so schwer wäre. Richtete sich wieder auf und wandte sich ab, um seine Grimasse zu verbergen, lief – hm – ganz lässig weiter, wobei er mit den Backenzähnen knirschte.
O Mann. Dabei hatte er in seinem Leben für Frauen schon allerhand getragen. Taschen, Einkäufe, Mäntel, Zeichenmappen, Koffer, Baupläne, sogar Aktenordner, aber eine Kettensäge, hm ...
Spürte, wie der Riss in seiner Rippe Boden gewann.
Ging rascher und unternahm eine letzte Anstrengung, um, oh, oh, männlicher zu wirken: »Und was ist das hier hinter der Mauer?«
»Ein Gemüsegarten«, gab sie zur Antwort.
»So groß?«
»Er gehörte zum Schloss.«
»Und – nutzen Sie ihn?«
»Na klar. Aber er ist vor allem Renés Domäne. Das ist der frühere Besitzer.«
Charles konnte nichts mehr sagen, seine Schmerzen waren zu groß. Schuld war nicht so sehr das Gewicht dieses Teils, schuld waren sein Rücken, sein Bein, seine miserablen Nächte.
Aus den Augenwinkeln betrachtete er die Frau, die neben ihm herlief.
Ihr sonnengebräuntes Gesicht, ihre kurzen Fingernägel, die Zweige in ihren Haaren, ihre von Michelangelo gefertigte Schulter, der Pullover, den sie sich um die Taille geknotet hatte, ihr abgetragenes T-Shirt, die Schweißflecken auf der Brust und am Rücken, und kam sich absolut jämmerlich vor.
»Sie riechen nach frischem Holz ...«
Lächeln.
»Wirklich?«, fragte sie und nahm die Arme dichter an den Körper, »das ist – das ist schön gesagt.«
»Und weißt du auch, warum er René heißt?«
Uff, diesmal wandte sich Trivial Pursuit Junior an sie . »Nein, aber du wirst es mir gleich sagen.«
»Weil seine Mutter vorher einen anderen Jungen hatte, der gleich gestorben ist, so war er der Wiedergeborene: re-né.«
Charles war ein wenig vorgegangen, um seine Last so bald wie möglich abzulegen, hörte aber, wie sie flüsterte: »Und du, Yacine? Weißt du, warum ich dich lieb habe?«
Vogelgeräusche.
»Weil du Sachen weißt, die das Internet niemals wissen wird.«
Er fürchtete, nie mehr ins Ziel zu kommen, nahm die Säge in die andere Hand, was alles nur noch schlimmer machte, sonderte große Schweißtropfen ab, rannte auf den letzten Metern und stellte sie schließlich vor die erstbeste Scheunentür.
»Perfekt. Ich muss sowieso die Kette abnehmen.«
Ach?
Donnerwetter.
Suchte nach einem Taschentuch, um seinen Schmerz darin einzuwickeln.
Alter Schwede, er hatte da etwas gemacht, was kein Guillaumet auf sich genommen hätte. So viel war sicher. Gut, und Lucas?
Sie begleitete die beiden bis auf die andere Seite.
Charles hatte ihr tonnenweise Dinge zu erzählen, aber die Brücke war zu baufällig. Ein »Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben«, schien ihm ausgeschlossen. Was hatte er neben ihrem Lächeln und ihrer rauhen Hand schon von ihr kennengelernt? Ja, aber ... Was sollte man in einer solchen Situation sagen? Er suchte und suchte und fand – seinen Schlüssel.
Machte die hintere Tür auf und drehte sich um.
»Ich wäre erfreut gewesen, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte sie schlicht.
»Ich –«
»Sie sehen sehr mitgenommen aus.«
»Wie bitte?«
»Ihr Gesicht.«
»Ja, ich – ich habe nicht aufgepasst.«
»So?«
»Ich auch. Ich meine, ich – ich wäre auch erfreut gewesen ...«
Nach der vierten Eiche brachte er endlich wieder einen vollständigen Satz heraus: »Lucas?«
»Ja?«
»Ist Kate verheiratet?«
3
Sie haben aber lange gebraucht!«
»Das liegt daran, dass sie ganz hinten auf der Wiese waren«, erklärte der Kleine.
»Was habe ich dir gesagt«, schnauzte die andere, »auf, zu Tisch jetzt. Ich muss auch noch drei Knöpfe annähen.«
Die Terrasse war mit Platten ausgelegt, die Tischdecke imprägniert und der Grill gasbetrieben. Er bekam einen weißen Plastikstuhl zugewiesen und nahm auf einem Kissen mit Blumenmuster Platz.
Kurzum, es war äußerst idyllisch.
Die ersten fünfzehn Minuten dauerten Stunden.
Penelope war eingeschnappt, Alexis mit seinem Latein am Ende, und unser Held hing seinen Gedanken nach.
Betrachtete das Gesicht, das er hatte erwachsen werden sehen, das er hatte spielen, leiden, lieben, sich entwickeln, Versprechungen abgeben, lügen, verfallen, sich verzerren und sich auflösen sehen, und war fasziniert.
»Warum siehst du mich so an? Bin ich so alt geworden?«
»Nein.
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