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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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bescheuert an seinem Rotring herum.
    »Je weniger Haare ein Mann hat, desto weniger sollte er haben ...«
    »Par... don?«, brachte er mühsam heraus.
    »Rasieren Sie alles ab!«, lachte sie. »Schaffen Sie sich das Problem ein für alle Mal vom Hals!«
    »Meinen Sie?«
    »Da bin ich ganz sicher.«
    »Aber wissen Sie – hm – diese Sache mit der Männlichkeit ... Als Dalila Samson schert, verliert der seine Macht und seinen Skalp und –«
    »Come on, Charlie! Sie werden richtig sexy aussehen, tausendmal mehr als bisher!«
    »Tja, wenn Sie das sagen ...«
    Schock! Seit zwanzig Jahren hegte und pflegte er seine kümmerliche Mähne wie eine Gluckenmutter, und jetzt wollte diese Frau alles in zwei Minuten zunichte machen.
     
    Er steuerte auf den Hauklotz zu, als er hörte, wie die folgenden Worte klinisch kühl ausgesprochen wurden: »Sam, die Haarschneidemaschine.«
    Hilfe.
    »Kate, darf ich den Stuhl zu der Faun-Statue drehen? Dann kann ich zum Trost seine herrlichen Locken zeichnen.«
     
    Ihr Assistent kam mit dem Folterkoffer zurück, und die Kinder waren mit Leib und Seele bei der Sache, holten die verschiedenen Scheraufsätze heraus: »Welche Länge brauchst du? Fünf Millimeter?«
    »Nee, das ist viel zu lang. Lieber zwei –«
    »Bist du verrückt. Dann sieht er aus wie ein Skin! Nimm drei, Kate.«
    Der Verurteilte gab keinen Laut von sich, hatte aber keinerlei Mühe, das Lächeln des Satyrs, der ihm die Stirn bot, zu Papier zu bringen.
    Anschließend zeichnete er die Nackenlinie bis zum Moos auf seinen ... Schloss die Augen.
     
    Er spürte ihren Bauch an seinen Schulterblättern, lehnte sich so diskret wie möglich dagegen, senkte das Kinn, während ihre Hände ihn streiften, betasteten, berührten, streichelten, von Staub befreiten, glätteten,drückten. Er war so erregt, dass er sein Heft auf dem Schoß etwas dichter heranzog und die Augen weiterhin geschlossen hielt, ohne sich vom Geräusch der Maschine stören zu lassen.
    Wünschte sich, dass sein Schopf nie ein Ende nahm, und war bereit, alle Männlichkeit der Welt zu opfern, wenn dieser herrliche Krampf ewig dauerte.
     
    Sie legte die Maschine weg und griff nach der Schere, um ihre Arbeit zu vollenden. Und während sie so vor ihm stand, sich auf die Länge seiner Koteletten konzentrierte, sich vorbeugte und er ihre Wärme spürte, ihren Geruch, ihren Duft einsog, wagte er sich mit der Hand an ihre Hüfte.
    »Habe ich Ihnen weh getan?«, fragte sie besorgt und trat einen Schritt zurück.
    Er machte die Augen wieder auf, stellte fest, dass sein Publikum noch da war, die Kleinsten zumindest, die auf seine Reaktion warteten, wenn er seinem Spiegelbild begegnete, und beschloss, dass die Stunde gekommen war, seine letzte Offensive zu starten, bevor er die Waffen streckte: »Kate?«
    »Ich bin fast fertig, keine Bange.«
    »Nein. Werden Sie niemals fertig. Entschuldigung, das wollte ich gar nicht sagen. Ich habe über etwas nachgedacht, wissen Sie?«
    Sie war wieder hinter ihm und rasierte ihm mit einem Rasiermesser den Nacken. »Ich höre.«
    »Äh, wollen Sie nicht mal für zwei Minuten eine Pause machen?«
    »Haben Sie Angst, dass ich Ihnen die Kehle durchschneide?«
    »Ja.«
    »O God. Was haben Sie mir denn zu sagen?«
    »Na ja. Ab nächstem Schuljahr wohne ich mit Mathilde allein, und da habe ich überlegt, dass –«
    »Dass was?«
    »Dass ich Sam, wenn er im Internat so kreuzunglücklich ist, zu mir nehmen könnte.«
    Die Klinge schwieg.
    »Wissen Sie«, fuhr er fort, »ich habe das Glück, in einem Viertel mit vielen hervorragenden Gymnasien zu leben, und –«
    »Warum ›ab nächstem Schuljahr‹?«
    »Weil es ... Das ist das Ende der Geschichte, die noch in der Flasche Port Ellen steckt.«
    Die Klinge wärmte sich wieder auf.
    »Aber haben Sie – haben Sie denn Platz für ihn?«
    »Ein sehr schönes Zimmer mit Parkett, Fußleisten und sogar einem Kamin.«
    »Ach?«
    »Ja.«
    »Haben Sie ihn darauf angesprochen?«
    »Natürlich.«
    »Und was meint er?«
    »Ihm gefällt die Vorstellung, aber er hat Angst, Sie allein zu lassen. Was ich im Übrigen verstehe. Wobei, Sie sehen ihn ja –«
    »In den Ferien?«
    »Nein, ich ... Ich hatte vor, ihn jedes Wochenende herzubringen.« Sie erstarrte von neuem. »Pardon?«
    »Ich könnte ihn Freitagabend nach Schulschluss abholen, mit ihm in den Zug steigen und mir ein kleines Auto kaufen, das ich am Bahnhof von –«
    »Aber«, unterbrach sie, »und Ihr Leben?«
    »Mein Leben, mein Leben«, er regte sich

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