Alles Gold Der Erde
finde es schon allein.«
»Sie sind zu jung«, erwiderte Mr. Archwood, »und – verzeihen Sie mir – sehen zu gut aus, um sich hier allein zu bewegen. Mein Pferd steht dort, schon gesattelt. Ich begleite Sie.«
Ohne weitere Worte stieg er auf, und sie ritten davon. Um die Unterhaltung von ihrer Person abzulenken, sagte Kendra:
»Sie scheinen sich hier ja gut auszukennen, Mr. Archwood.«
»Ich bin zur Faulheit gezwungen«, erklärte er freundlich, »deshalb habe ich die Stadt so nach und nach durchstreift.« Er berichtete ihr, daß er auf der Huntress von New York gekommen sei, die sie in der Bucht sehen könne. Er habe eine Ladung Güter, die zum Teil für Chase & Fenway, zum andern Teil für eine Firma in Honolulu bestimmt sei. Die Huntress könne indessen nicht nach Honolulu weitersegeln, da die Mannschaft sich dünnegemacht habe.
»Wir haben New York im April verlassen«, fügte Mr. Archwood hinzu. »Wie hätten wir mit dergleichen rechnen können?«
Im April, dachte Kendra. Damals habe ich Ted geheiratet. Wie hätte ich mit dergleichen rechnen können?
Und in der Erinnerung an diese glückliche Zeit fiel ihr ein, was Eva damals gesagt hatte: Wenn sie und Ted des Lebens in Kalifornien überdrüssig seien, könnten sie ja mit diesen von der Regierung finanzierten Dampfschiffen nach Hause fahren. Sie sagte zu Mr. Archwood:
»Vielleicht können Sie auf einem der Passagierdampfer heimfahren. Der Kongreß hat im letzten Jahr die Fahrten entlang beider Küsten genehmigt.«
»Ja, ich weiß«, versetzte er. »Sie haben diese Dampfer auf Kiel gelegt, als ich in New York aufbrach. Der erste müßte bald hier ankommen. Aber …« Er lächelte spöttisch und blickte auf die verlassenen Schiffe in der Bucht … »wird er auch tatsächlich kommen?«
Kendra lächelte gleichfalls. Er war so freundlich und höflich. Mit jeder Minute fühlte sie sich heiterer werden. »Sie haben so viel im Kopf, und doch nehmen Sie sich die Zeit, mir bei der Suche nach meiner Familie zu helfen.«
Während sie noch sprach, wurde ihr bewußt, daß sie soeben Alex und Eva zum erstenmal ihre ›Familie‹ genannt hatte. Mr. Archwood entgegnete unerwartet humorvoll:
»Meine Zwangslage ist nicht ganz so schlimm, wie Sie meinen. Ich bin eigentlich aus reiner Lust am Abenteuer an die pazifische Küste gekommen. Das Geschäftliche hätte ein anderer ebensogut erledigen können.«
Und dann erzählte er ihr, daß seine Frau vor einigen Jahren kinderlos gestorben sei. »In New York bin ich nicht eigentlich einsam«, sagte er, »denn ich habe dort viele Freunde, aber allmählich konnte ich dieselben Restaurants, dieselben Theater, dieselben Hotels nicht mehr ausstehen. Ich reise gern, aber die interessantesten Orte zu beiden Seiten des Atlantik habe ich bereits kennengelernt. Darum habe ich mich diesmal entschlossen, mir die andere Erdhälfte vorzunehmen. Ich wollte etwas Überraschendes erleben. Nun, was ich gefunden habe, ist ja tatsächlich überraschender, als ich zu hoffen wagte, aber es macht mir Spaß.«
In der Montgomery Street geleitete er sie zu dem kleinen Haus, von dem er gesprochen hatte. Ein Soldat stand auf der Veranda. Er ähnelte keineswegs den feschen jungen Soldaten, die Kendra im Frühling gesehen hatte; er hätte sich dringend rasieren und die Haare schneiden lassen müssen, und seine Uniform war ziemlich beschmutzt. Mr. Archwood stieg mit ihr die Treppe hinauf. Der Soldat trat ihnen entgegen.
»Diese Dame«, sagte Mr. Archwood, »sucht Oberst Taine.«
»Oberst Taine?« wiederholte der Soldat unsicher. Doch dann erhellte sich seine Miene »Oh, dann sind Sie ja Mrs. Parks?«
Kendra zuckte unter dem Namen zusammen. »Ich bin die Tochter von Mrs. Parks.«
»Gewiß, Madam, wir haben Sie erwartet. Wenn Sie hier warten wollen, werde ich Leutnant Vernon Bescheid geben.«
Trotz all dieser Merkwürdigkeiten hörte sie mit Freuden einen ihr vertrauten Namen. Sie dankte dem Soldaten mit einem Lächeln. Als Vernon heraustrat, sah sie, daß auch er sich verändert hatte. Nicht daß er ungepflegt gewesen wäre, aber seine Schuhe waren ausgetreten, und seine Uniform war abgetragen, und aus seinem Gesicht sprach Müdigkeit. Er wandte sich Kendra und Archwood höflich zu, doch fehlte der Eifer jener Tage, da in San Francisco partout nichts hatte passieren wollen. Heute war er ganz einfach viel zu müde.
»Ich hoffe, daß Sie und Ted einen schönen Sommer in den Minen verbracht haben.«
»Ja, es war recht nett«, antwortete sie und
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