Alles Gold Der Erde
gekommen und daher nicht ganz sicher.« Er drehte sich zu einigen der anderen Männer um, die mittlerweile die Stufen herabgekommen waren. »Kennt einer von euch einen Oberst, der hier irgendwo gewohnt hat?«
Alle schüttelten den Kopf. Einer riet Kendra:
»Vielleicht fragen Sie mal bei Mrs. Beecham nach. Die Leute kommen und gehen, Ma'am. Sie wissen ja, wie es in einer Pension zugeht.«
Kendra fuhr erschreckt auf. »Ist das hier denn jetzt eine Pension?«
»Ja, Ma'am«, sagte ein dritter Mann in einem roten Hemd.
»Sie wird von Mr. und Mrs. Beecham geführt. Aber hier lebt kein Offizier.«
Alle zeigten sich hilfsbereit oder wollten doch wenigstens wissen, welch ein Rätsel es zu lösen gab. Einer war ins Haus gegangen, um Mrs. Beecham zu holen. Sie war eine barsche, doch nicht unfreundliche Person. »Von einem Obersten Taine habe ich nie im Leben etwas gehört. Ich bin mit meinem Mann in einem Planwagen aus Oregon gekommen. Als wir von daheim aufbrachen, hatten wir noch kein Wort über die Goldfunde vernommen; nachdem wir hier waren, kam uns jedoch der Gedanke, daß eine Pension das Richtige sei. Also haben wir das Haus von Mr. Rigg gekauft …«
»Mr. Rigg!« rief Kendra. »Den kenne ich ja. Ich werde zu ihm reiten und mich erkundigen.«
Doch Mrs. Beecham unterbrach sie. »Die Riggs wohnen auch nicht mehr in ihrem Haus. Das ist jetzt ebenfalls eine Pension, die von einer Mrs. Fairfax geleitet wird. Die Riggs haben diese Häuser verkauft und sich einer Gruppe Mormonen angeschlossen, die nach dem Salt Lake aufgebrochen sind. Das ist schon eine ganze Weile her. Ich nehme an, Sie waren fort?«
Kendra kannte die Redensart ›Das Herz wird mir schwer‹. Sie hatte die Bedeutung dieser Worte noch nie gefaßt. Doch jetzt war ihr, als sinke ein schwerer Klumpen in ihrer Brust immer tiefer. »Ja«, antwortete sie, »ich war fort.«
Sie betrachtete Evas schmuckes Häuschen. Jählings empfand sie Heimweh nach Evas hellen Vorhängen und Bettvorlegern und nach den fröhlich geblümten Kissen, die sie für die Stühle gestopft hatte. Ach, überlegte Kendra, warum schätzen wir die Dinge denn nicht richtig ein, solange wir sie noch haben?
In diesem Augenblick erschien ein Gentleman auf der Treppe. Als Kendra ihn erblickte, ging ihr sogleich dieses Wort durch den Kopf: Er machte in der Tat den Eindruck eines Gentleman. Und er sah aus wie ein Mann, der in den besten Hotels zu Hause ist, der Geld und Pferde ebenso liebt wie schöne Frauen und von allem eine Menge versteht. Er war nicht auffallend groß, doch kräftig gebaut und trug einen gutgeschnittenen Anzug aus bestem Tuch. Vermutlich war er etwa vierzig Jahre alt. Doch ließ sich sein Alter schwer beurteilen, denn sein Haar war fast weiß, obwohl sein Gesicht noch jugendliche Züge trug. Es war dichtes welliges Haar, das auch an der Stirn noch voll war, und dieses Weiß wirkte besonders überraschend, da seine Brauen und seine Augen dunkel waren. Die von der Sonne verbrannte Haut ließ vermuten, daß er sich noch nicht lange in San Francisco aufhielt.
Es war jedoch nicht anzunehmen, daß er in den Goldminen gewesen und von dort herabgekommen war: Diese wohlgepflegten Hände hatten sicher niemals eine Spitzhacke geschwungen oder mit einer Schaufel hantiert. Als er näher an Kendra herantrat, blitzte es in seinen Augen anerkennend auf. Dieser Blick war jedoch keineswegs unverschämt, sondern lediglich das instinktive Wohlgefallen, das jeder Mann einer charmanten Frau bekundet. Er sprach sie in nüchternem Ton an:
»Guten Morgen, Madam. Mein Name ist Warren Archwood. Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein?«
Seine Höflichkeit wirkte beruhigend. »Vielen Dank«, antwortete Kendra und setzte erklärend hinzu: »Mrs. Taine ist meine Mutter.« – »Ich schlage Ihnen vor, sich im Hauptquartier der Armee zu erkundigen. Der Verbleib eines Obersten wird dort sicher bekannt sein.«
»Das Hauptquartier – natürlich!« rief Kendra. »Ist es immer noch dort, wo es früher war?«
Der Wind trieb eine weiße Locke über Mr. Archwoods Stirn. Er strich sie zurück und entgegnete lächelnd:
»Ich weiß nicht, wo es früher war, aber ich bezweifle, ob es noch am selben Ort untergebracht ist. In San Francisco ist nämlich alles sozusagen im Fließen. Immerhin weiß ich, wo es sich zur Zeit befindet, in einem kleinen Haus der Montgomery Street.« Er zog seine Reithandschuhe aus der Tasche. »Ich reite mit Ihnen hinab.«
»Das ist nicht nötig«, protestierte Kendra. »Ich
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