Alles Gold Der Erde
hinunter. Marny hatte ihr eingetrichtert, wie sie sich zu verhalten habe.
Sie führte Mr. Archwood in den Lagerraum, wo weniger Betrieb herrschte als im Laden. Sie setzten sich auf Kisten. »Ich danke Ihnen nochmals für Ihre Hilfe«, sagte Kendra, »wir haben es gemütlich hier, Marny und ich.« Nach einigen Minuten fragte sie: »Wollen Sie nicht am Nachmittag zu einem Essen vorbeikommen? Dann können Sie auch unsere Freunde kennenlernen, die mit uns in Shiny Gulch gewesen sind.« Mr. Archwood nahm die Einladung freudig an, denn die Mahlzeiten bei Mrs. Beecham seien ziemlich fade.
»Wir essen am Brunnen hinter dem Laden. Diesen Weg, bitte. Ich will es Ihnen zeigen.«
Sie traten zur Hintertür hinaus. Und dort, auf einer Bank am Brunnen, saß sittsam Marny und säumte ein Taschentuch …
Marny trug ein Kleid aus schlichtem grauem Musselin. Sie wußte, wie eindrucksvoll ein schlichtes Kleid wirkte, und außerdem wünschte sie, daß Archwood von ihr selbst Notiz nehme und weniger von ihrer Kleidung. Im Sonnenlicht leuchtete ihr Haar auf. Ihre Hände machten sich anmutig mit dem Tüchlein zu schaffen. Kendra stellte ihr Mr. Archwood vor. Marny begrüßte ihn wie eine vollendete Dame. Während sie in ihrer Arbeit fortfuhr, plauderten sie über das willkommene schöne Wetter, und Marny gab ihrer Freude Ausdruck, ihn bewirten zu können.
Nach wenigen Minuten strahlte Mr. Archwood förmlich vor Glück. Den gestrigen Bedenken des Mr. Chase hatte er entnommen, daß es sich wohl lohne, mit Marny bekannt zu werden. Chase und Fenway hatten indessen nicht von ihrer aufregenden Figur gesprochen, auch nicht von ihren grünen Augen und ihrem roten Haar und ihren Sommersprossen. Und sie hatten auch nicht gesagt, daß Marny – falls sie Lust dazu verspürte – ihre lockenden Reize durchaus mit den Umgangsformen einer jungen Dame aus einem Pensionat in Einklang zu bringen wußte. (In der Tat hatten die Herren Chase und Fenway von diesen Künsten keine Ahnung.) Mr. Archwood empfand das Verlangen, Marny näher kennenzulernen.
Sie aßen um fünf am Nachmittag. Kendra und Marny hatten die Kochplatte in den Pavillon getragen. Sie ließen sich auf ihrem alten Bettzeug nieder, das sie auf der Erde ausgebreitet hatten. Als Servietten diente ungebleichter Musselin, den sie in viereckige Stücke gerissen hatte. Sie aßen aus den Pfannen, die sie im Gebirge benutzt hatten. Ihre Gabeln und Löffel waren aus Horn. Ihre Messer gehörten zu jener Sorte, die von den Goldsuchern verwendet wurde: Sie waren klein und scharf, man konnte mit ihnen ein Steak zerlegen oder Gold aus einer Felsspalte kratzen; ebenso brauchbar waren sie indessen auch, wenn es galt, die Kehle eines Mannes aufzuschlitzen.
Kendra fand, die Szenerie sei von wilder Romantik: Über den Bergen sank die Sonne, der Rauch ihres Feuers schwebte durch die Moskitonetze, Archwood war weltmännisch und elegant, die beiden andern Männer trugen ihre roten Hemden und ihre Kordsamthosen, der Feuerschein glitzerte auf Marnys Haar und auf ihren Händen, wenn sie Wein einschenkte. Kendra selbst hatte eine der gerüschten Schürzen umgebunden, die sie beim Aufwarten getragen, als ihr Stiefvater seine Offizierskameraden zum Essen eingeladen hatte. Hier am Lagerfeuer verlieh sie ihr einen pikanten Reiz.
Archwood saß ebenfalls auf dem Bettzeug und aß aus der Pfanne. Aus einem Zinnbecher schlürfte er Burgunder. Zum erstenmal ahnte er die Aufregung, die das Gold von Kalifornien weckte. Er hatte noch nie ein Placer gesehen. Er wußte nicht, wie man ein Sieb schütteln mußte, damit der Sand die Goldflocken freigab. Er ahnte nicht, was ein Schwingtrog war. Er stellte hundert Fragen, und die andern beantworteten sie gern. Hiram und Pocket berichteten ihm von ihrem Plan, einen Laden bei Sutters Fort zu eröffnen.
Bei der Nennung des Namens Sutter machte Archwood überraschte Augen. Anstatt wie bisher nur Zuhörer zu sein, konnte er diesmal auch etwas zur Unterhaltung beitragen. Als er von den grandiosen Geschichten hörte, die Sutter zu erzählen liebte, fing er zu lachen an. »Wie? Sutter ist seiner freier Ansichten wegen aus der Schweiz vertrieben worden? Er hat in der Leibwache des Königs von Frankreich gedient?«
Und dann berichtete er weiter: »Ich bin auf der Huntress zusammen mit einem Sohn Sutters gereist, und diesem jungen Johann ist noch nie dergleichen zu Ohren gekommen. Er hat gesagt, sein Vater habe bei Nacht und Nebel die Schweiz verlassen, weil man ihn sonst in den
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