Alles Gold Der Erde
Segeltuch genagelt wurde. Dieses ›Haus‹ hatte einen Bretterboden und war in mehrere Einzelräume durch ›Wände‹ aus Segeltuch aufgeteilt, die zu Privatspielen gemietet werden konnten.
Archwood ließ auch ein kleineres Tuchhaus für Lolo und ihren Schwarzbart bauen. Sie hatte in der ersten Februarwoche ihr Baby zur Welt gebracht. Einige Tage zuvor hatte ein Schoner aus den Vereinigten Staaten die Nachricht übermittelt, daß Zachary Taylor zum neuen Präsidenten gewählt worden war. Also tauften sie den Kleinen auf den Namen Zachary und nannten ihn Zack.
Marny freute sich der kommenden Dinge. Ihr Tuchhaus war größer als das Zelt und auch festlicher. Lampen mit Walfischtran hingen an den Balken, und die häßlichen Segeltuchwände hatte sie mit rotem Kattun drapiert. An die beiden Enden der Bar stellte sie chinesische Dschunken in Miniaturformat, in denen Räucherstäbchen brannten. Dort konnten sich die Männer ihre Zigarren anzünden. Zu Kendra sagte sie: »Eigentlich kommt es mir darauf an, daß die Leute keine brennenden Streichhölzer auf den Boden werfen. In dieser baufälligen Stadt muß man ja stets mit einem Großbrand rechnen.« Dann zeigte sie Kendra eine goldene Nadel in Form eines geflochtenen Körbchens, deren Rand mit vielfarbigen Juwelen geschmückt war, so daß man hätte meinen können, es seien winzige Blümchen.
»Ein hübscher Skalp für den Fall, daß ich doch mal wieder nach Philadelphia zurückkehren sollte.«
Wenige Tage danach kam Loren aus Oregon. Kendra schlang ihre Arme um ihn und vergoß Tränen an seiner Schulter. Loren war gerührt. Doch da er ein glücklicher Mann war, der noch niemals hinter die Dinge geschaut hatte, konnte er sein Erstaunen nicht verbergen. »Aber mein liebes Mädchen! Du hast dir doch hoffentlich keine Sorgen um mich gemacht? Meine Reise war ganz ungefährlich. Die Malek ist eines der besten Schiffe im Küstenhandel. Hast du das denn nicht gewußt?«
Doch, das hatte sie gewußt. Sie hatte auch keine Sorgen um Loren gehabt – nicht deswegen hatte sie diese schreckliche Nacht schluchzend verbracht. Aber das konnte sie ihm nicht sagen. Ebensowenig konnte sie ihm sagen, daß die Tränen, die sie jetzt vergoß, Tränen der Dankbarkeit waren. Sie war ihm dankbar für seine schlichte und beständige Güte. Sie mußte froh darüber sein, wenn sie ihn deshalb auch nicht zu lieben vermochte.
In der zweiten Februarhälfte hörten die Regenfälle auf. Die Sonne traute sich wieder hervor, und der Schlamm trocknete. Oft machte Kendra nun zusammen mit Serena Ausflüge in die Stadt, um sich Vorräte anzulegen, falls eine neue Sintflut einsetzen sollte.
Mr. Fenway wußte traurige Geschichten über Schiffe zu erzählen, die aus dem Goldland zurückkamen. Sie hatten halbtote Männer an Bord, die an Skorbut und Fieber litten. Barfuß, verfroren, mit blutunterlaufenen Augen und zitternden Händen lagen diese armen Kerle an Deck und baten die ein bißchen Kräftigeren, ihnen doch beim Tragen ihres Gepäcks behilflich zu sein.
»Was für ein Gepäck?« fragte Kendra.
»Gold«, erwiderte Mr. Fenway. »Sie können es nicht essen, sie können sich damit nicht vor dem Schnee schützen. Und jetzt sind sie so krank, daß sie es nicht einmal selber schleppen können.«
Kendra dankte dem Himmel, daß sie und ihre Freunde Nings Rat beherzigt und die Berge rechtzeitig verlassen hatten. Mr. Fenway, dem die Sorgen anderer Leute allemal ein gewisses Vergnügen machten, meinte, daß er selbst sich sein Leben behaglicher eingerichtet habe:
»Hier ist alles, was die Leute brauchen.« Mr. Fenway ergriff eine Flasche mit Zitronensaft. »Wir beziehen dieses Zeug jetzt in Fässern durch englische Schiffe. Wir füllen es in leere Ginflaschen ab. Der Verkauf bringt uns ganz schön etwas ein.« Aus seinen Worten sprach düstere Befriedigung. Doch mittlerweile war Kendra dahintergekommen, daß Mr. Fenway seinen Weg zur Zufriedenheit gefunden hatte – wie sie selber, wie viele andere Leute auch.
34
Am nächsten Morgen waren die Berge von Wolken verhüllt. Als Kendra und Loren ihr Frühstück beendet hatten, war es jedoch aufgeklart. Ralph und Loren gingen zum Laden. Während Serena die Küche aufräumte, brachte Kendra das Schlafzimmer in Ordnung. Sie steckte gerade ein Kissen in einen frischen Bezug, da hörte sie schnelle Schritte auf der Treppe. Bevor sie sich noch umdrehen konnte, stürzte Loren ins Zimmer. Sein Haar war zerwühlt, seine Wangen waren noch röter als sonst. Die
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