Alles Gold Der Erde
um sich und öffnete die Tür. Auf der Treppe duftete es nach Kaffee und Schinken. Sie hörte auch Fußtritte. Kendra rief: »Serena.«
»Ach, sind Sie endlich aufgestanden, Mrs. Shields! Ich habe mir schon Sorgen um Sie gemacht. Geht es Ihnen gut?«
»Aber ja«, versicherte Kendra. »Der Regen hat mich nur nicht schlafen lassen, das ist alles. Wie spät ist es eigentlich?«
»Schon zehn vorbei. Ich hoffe, Ralph ist rechtzeitig zur Arbeit gekommen. Er hat gesagt, wenn der Schlamm heute abend gar zu arg ist, wird er im Laden schlafen.«
»Haben Sie noch ein bißchen Kaffee, Serena?«
Serena nickte, und wenig später brachte sie eine Kanne in Kendras Wohnung. Sie hatte ein wenig Kaffee in die Untertasse verschüttet, aber Kendra war, seit sie das Leben in den Bergen kennengelernt hatte, nicht mehr so anspruchsvoll wie früher. Serena war eine freundliche Seele. »Soll ich Ihnen nicht ein bißchen was zum Frühstücken machen?« erkundigte sie sich. »Sie könnten sich in meiner Küche aufwärmen.«
Kendra hätte sich sehr gern in der Küche aufgewärmt, doch sie fühlte sich noch nicht imstande, Serenas munteres Geplauder zu ertragen. Während sie den Kaffee schlürfte, starrte sie auf die Asche im Kamin. In der Asche lag auch das, was Teds Brief gewesen war. Kendra stellte ihre Tasse ab und trat zum Fenster, zog den Vorhang zurück und blickte hinaus in die verregnete Straße. Dort unten hatte in der vergangenen Nacht Ted auf sie gewartet.
Und jetzt ist er fort, dachte sie. Ich habe ihn fortgeschickt. Vermutlich werde ich ihn niemals wiedersehen.
Mit einemmal stellte sie fest, daß er ihr gleichgültig geworden war.
Also war es endlich geschehen! Was Pocket widerfahren war, was er ihr prophezeit hatte: jetzt war es passiert: Sie liebte Ted nicht mehr. Sie haßte ihn auch nicht mehr. Er war ihr ganz einfach gleichgültig geworden.
Verblüfft ließ Kendra den Vorhang sinken. Sie ging zum Waschtisch und kühlte ihre brennenden Augen mit dem eisigen Wasser. Was war aus dem sehnsüchtigen Verlangen geworden, das sie stets empfunden hatte?
Sie wußte es nicht. Was auch immer die Ursache sein mochte – der alte Schmerz quälte sie nicht länger. Sie dachte an Ted. Sie erinnerte sich an sein Aussehen, den Klang seiner Stimme. Sie erinnerte sich, wie er ihr alle Illusionen genommen hatte. Sie erinnerte sich an sein Selbstmitleid, als er die Schuld auf alle Welt geschoben hatte, nur nicht auf sich selber. Sie erinnerte sich des Tages, da sie sich in ihn verliebt hatte. Wie lange hatte diese Liebe doch gewährt! Warum nur? Wieder wußte sie keine Antwort. Sie wußte nur eines: Nun liebte sie Ted nicht mehr.
Ebensowenig jedoch wünschte sie ihm etwas Böses. Ted spielte keine Rolle mehr. Sie war frei.
Kendra setzte sich auf ihr Bett. Sie machte sich keine Gedanken. Sie nahm lediglich die Dinge wahr, die sie umgaben: den Duft des Kaffees, ihren warmen Morgenrock, ihre weichen Pantoffeln. Und sie saß in ihrem eigenen Heim, das sie vor dem Regen schützte, während die meisten andern Leute in Baracken und Zelten hausten. Und dann dachte sie an Loren. Sie fragte sich: Liebe ich ihn jetzt?
Nein, sie liebte ihn immer noch nicht. Aber sie achtete ihn, und sie vertraute ihm.
Nein, sagte sie sich, ich liebe ihn nicht. Aber wahrscheinlich werde ich nie wieder einen Mann lieben können.
Und dabei fehlte ihr die Liebe so sehr. Sie hatte etwas verloren, etwas Großes und Bedeutsames. Doch statt dessen war ein eigentümlicher Friede über sie gekommen.
33
Nun, da sich Kendra in Gedanken nicht länger mit Ted beschäftigte, bemerkte sie überrascht, wieviel in ihrer Umgebung passierte. In diesen ersten Wochen des Jahres 1849 fieberte jeder Mann, jede Frau, jedes Kind in San Francisco vor Erwartung.
Sie konnte das überall erleben. Zu Hause, auf der Straße, in den Handelsniederlassungen sprachen die Leute von nichts anderem als dem Dampfschiff aus New York. Immer wieder debattierten sie darüber und fragten sich, wer wohl an Bord sein mochte. »Wäre es nicht komisch«, rief Marny, »wenn der Dampfer jemanden hierherbrächte, den wir kennen?«
Denn nun endlich war das Goldfieber auch auf ihre Landsleute an der atlantischen Küste übergesprungen. Endlich waren richtige Yankees unterwegs, um nach dem kalifornischen Gold zu suchen.
Freilich waren bereits im vergangenen Jahr Hunderte eingetroffen, unter ihnen hatten sich auch Yankees befunden. Aber sie waren nicht direkt aus der Heimat gekommen, sondern aus Hawaii, Oregon
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