Alles Gold Der Erde
ihre Schultern und küßte sie. »Liebes tapferes Mädchen«, sagte sie zärtlich.
»Ich bin so froh, daß du gekommen bist«, sagte Kendra und trat einen Schritt zurück. »Aber, bitte, zeig mir kein Mitgefühl. Das kann ich nicht ertragen.«
Mit einer Geste bat sie Marny, in den Salon zu treten. Marny folgte ihr. Die Luft im Zimmer war verbraucht und kühl. Trotz des Halbdunkels sah Marny, daß Kendras Gesicht weiß und starr war. Ihr Kind lag im Sterben, und sie mußte damit fertig werden.
»Kendra, gibt es irgend etwas, was ich für dich tun kann?«
Zu Marnys Überraschung nickte Kendra. »Ja. Sei meine beste Freundin.«
»Aber ja, Liebes. Ich bin doch deine beste Freundin. Sag mir, was ich für dich machen kann.«
»Ich glaube … ich möchte … hör mir zu.« Kendra hatte Marny so fest an den Händen gefaßt, daß ihr Griff fast schmerzte. Marny spürte, daß jeder Muskel ihres Körpers gespannt war.
»Marny, ich kann das von niemandem sonst verlangen. Aber von dir kann ich's verlangen, weil du es schon weißt.«
Ihre von dunklen Ringen beschatteten Augen starrten Marny in einer verzweifelten Bitte um Verständnis an. Marny wartete.
»Marny, du weißt es … du hast nie darüber gesprochen, aber du weißt es … Ich habe Loren niemals etwas gegeben. Er war immer derjenige, der geschenkt hat … Mich hat er beschenkt. Ich habe bloß das angenommen, was er mir gegeben hat. Und jetzt habe ich ihn zum erstenmal beschenkt. Er liebt das Kind so sehr.«
Sie sprach fest, aber ihr Mut mußte sie eine schreckliche Überwindung kosten.
»Ich glaube nicht, daß Loren wieder gesund wird. Auch der Arzt glaubt es nicht. Wenn wir uns irren, wenn er doch wieder gesund wird, dann muß er es erfahren. Aber wenn er nicht wieder gesund wird, dann … dann werde ich wenigstens ihm das erspart haben, was ich mitmachen muß. Wenn das die letzten Tage seines Lebens sind, kann ich ihm wenigstens Frieden geben. Willst du mir dabei helfen?«
Marny holte tief Atem. »Ich werde alles tun, Kendra. Aber was meinst du?«
»Bleib hier. Ich meine nicht, daß du irgend etwas tun sollst. Serena, Ralph, Mrs. Chase und der Arzt, sie alle tun das Notwendige. Aber du – wenn du willst –, bleib doch einfach hier.« Sie lockerte ihren Griff und wies auf das Sofa. »Setz dich dahin. Sei niemandem im Weg. Aber bleib da. Willst du das für mich tun?«
»Ja, Kendra. Ich werde so lange bleiben, wie du willst.«
»Vielen Dank.« Kendra schaute sich im Zimmer um, als nähme sie die Gegenstände nicht richtig wahr. »Wenn auf dem Herd noch Kaffee ist, werde ich Serena sagen, daß sie ihn dir bringt.«
Sie ging hinaus, Marny öffnete das Fenster. Ein Wind kam auf. Der Nebel trieb davon. Naß schlug ihr die Luft ins Gesicht.
Nach einer Weile stand Serena auf der Türschwelle. In schroffem Ton sagte sie:
»Es ist kein Kaffee mehr da, aber Mrs. Shields hat mich gebeten, einen Topf für Sie aufzusetzen.« Sonst war sie immer so freundlich, heute dagegen geradezu barsch. »Er wird bald fertig sein.«
»Ich danke Ihnen, Serena«, erwiderte Marny. »Mrs. Shields ist eine tapfere …«
»Bitte nicht. Ich kann darüber nicht reden.« Serena ging so plötzlich, wie sie gekommen, wieder fort. Marny fiel ein, daß Serena wissen mußte, was Kendra zu erdulden hatte. Serena hatte ihr eigenes Kind sterben sehen. Kein Wunder, daß sie so schroff war.
Jemand pochte an die Haustür. Natürlich – Dwight Carson, den sie völlig vergessen hatte. Serena hatte bereits aufgemacht. Bei ihm waren Hiram und Pocket. Hiram erklärte:
»Nach dem Mittagessen bin ich in die Buchhandlung gegangen und habe eine New Yorker Zeitung gelesen. Da kam Dwight herein. Ich habe den beiden erzählt, daß es mit Loren schlimmer geworden ist, und nun wollen sie sehen, wie es ihm geht. Dürfen sie für einen Moment hereinkommen?«
Marny berichtete ihnen, Loren sei am Morgen mit diesem Stechen in der Seite erwacht. Von dem Kind erzählte sie natürlich nichts, allerdings sagte sie den Männern, daß Kendra sie gebeten habe, im Haus zu bleiben. »Ich kann also nicht mit zum Calico-Palast kommen«, beschied sie Dwight.
Carson sah, daß sie sich Sorgen machte. Er gab sogleich nach, und zwar so liebenswürdig und mitfühlend, daß er ihr noch sympathischer wurde. »Dann werde ich mich also an die Arbeit begeben«, erklärte er. »Alles wird mit rechten Dingen zugehen. Sie können sich ganz auf mich verlassen.« Marny blickte ihm ins Gesicht und sagte ernst:
»Ich verlasse
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