Alles Gold Der Erde
Loren.
»Ein schönes Baby«, antwortete Marny. Sie glaubte, ihre Worte klirrten wie Ketten. Sie hatte die Fäuste geballt. Loren jedoch war so schwach, daß ihm nichts auffiel. Mit furchtbarer Anstrengung sagte Kendra:
»Der Junge fühlt sich wohl. Dr. Rollins hat mir geraten, ihn noch nicht heraufzubringen. Auf der Treppe ist es so windig.«
»Gut«, murmelte Loren so leise, daß Marny ihn kaum verstehen konnte. »Halte ihn warm. Und vielen Dank dafür, daß Sie gekommen sind, Marny.«
Mit einer Handbewegung hinter ihrem Rücken gab Kendra der Freundin ein Zeichen, jetzt zu gehen. Marny sagte:
»Ich wollte Sie bloß für einen Moment sprechen, Loren. Nun gehe ich wieder 'runter.«
Loren murmelte einen fast unhörbaren Abschiedsgruß. Marny war sicher, daß dies das letzte Wort war, das sie aus Lorens Mund vernahm. Sie drehte sich um und ließ Kendra mit ihm allein.
Marny ging wieder in den Salon und berichtete den andern, was vorgefallen war. Serena schluchzte. Mrs. Chase weinte still. Hiram sagte:
»Mein Gott, welch ein Mut!«
Marny erklärte:
»Falls einer von euch Loren wissen läßt, daß sie ihn belogen hat, werde ich ihn abknallen.«
»Das brauchen Sie nicht zu tun«, versetzte Pocket. »Das Abknallen besorge ich.«
Serena trocknete ihre Augen und gab sich Haltung. »Könnte es helfen, wenn ich hinaufginge?«
Marny wußte keine Antwort, aber Pocket erwiderte ohne Zögern:
»Nein, Ma'am, damit muß sie allein fertig werden. Wenn sie nach uns verlangt, weiß sie, wo wir sind.«
Wiederum verharrten sie wartend. Praktisch, wie sie nun einmal war, ging Mrs. Chase in die Küche und brachte den Kakao, den sie gekocht hatte. Sie füllte eine Tasse und reichte sie Marny. »Trinken Sie das. Es ist nahrhaft.« Dann goß sie eine zweite Tasse voll. »Für Sie, Serena. Sie müssen trinken. Sagen Sie mir nicht, Sie hätten keine Lust. Einer hier muß schließlich einen klaren Kopf bewahren.« Beide Frauen gehorchten.
Nach einigen Minuten kam Kendra ins Zimmer. Zunächst sprach sie nichts. Mrs. Chase brachte auch ihr eine Tasse Kakao, aber sie schien davon keine Kenntnis zu nehmen.
»Hat euch Marny erzählt, was ich zu Loren gesagt habe?«
»Ja«, entgegnete Pocket. »Wir verstehen Sie, und wir glauben, daß Sie richtig gehandelt haben.«
Immer noch bemerkte Kendra die eifrige Mrs. Chase nicht, die mit ihrer Tasse neben ihr stand. Es war beklemmend still im Raum. Keiner sagte etwas. Keiner rührte sich vom Fleck.
Plötzlich fing Kendra zu wimmern an. Unbewußt legte sie die Hände auf ihre Brüste. Ein schmerzhafter Krampf zuckte über ihre Stirn. Ihre Brüste, die voller Milch waren, die das Baby nicht mehr brauchte, begannen ihr weh zu tun.
»Ich weiß, was da zu machen ist«, sagte Serena schnell. »Kommen Sie mit.« Sie riß die Tür auf, und in diesem Augenblick erklärte der Arzt:
»Gleich werde ich bei Ihnen sein, meine Damen.«
Kendra, Serena und Mrs. Chase gingen hinaus. Ralph blieb verlegen an seinem Platz stehen. Dr. Rollins wandte sich an Marny, Pocket und Hiram:
»Ihr geht jetzt am besten fort. Es wird bald dunkel, und ihr habt keine Laternen bei euch. Ich werde Mrs. Shields ein Mittel geben, damit sie einschläft. Sie braucht unbedingt jetzt Ruhe. Die nächsten Tage werden schwer für sie sein. Vielleicht tut es ihr gut, wenn ihr morgen wiederkommt.«
»Sagen Sie ihr, daß wir sie morgen besuchen werden«, antwortete Hiram.
Sie gingen von dannen. Nie im Leben hatten sie sich derart hilflos gefühlt.
Sie kamen am nächsten und am übernächsten Tag wieder. Auch die Herren Chase und Fenway fanden sich ein. Es war nun Neujahr geworden. Dann kamen der Pfarrer der Baptistenkirche und ein Mann vom Green-Oak-Friedhof. Während Dr. Rollins bei Loren saß, sprach der Pfarrer ein Gebet über dem Leichnam des Kindes und versuchte, Kendra zu trösten. Danach nahm der Mann vom Friedhof den Kleinen mit.
In dieser Nacht stürzten Regenschauer herab. Am Morgen darauf fegte ein starker Wind den Himmel rein. Die Straßen jedoch waren matschig. Als Hiram und Pocket fröstelnd den Laden betraten, empfahlen sie Marny, heute nicht den Berg hinanzusteigen. Vor ihrem Kommen hatte Marny Patiencen gelegt. Nun sammelte sie die Karten ein und erwiderte:
»Selbstverständlich werde ich mit euch gehen. Norman ist schon bei mir gewesen, und wenn Norman durch die Straßen spazieren kann, dann bin auch ich dazu imstande. Übrigens, Norman ist bei bester Laune. Um acht Uhr am Morgen ist die Oregon zum Isthmus
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