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Alles Gold Der Erde

Titel: Alles Gold Der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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nicht gedankenlos und läufst auch nicht kopflos davon. Du bist ein ganzer Kerl.«
    Fast atemlos erwiderte er:
    »Vielen Dank, Kendra. Ich danke dir, mein Liebes.«
    »Kannst du mir jetzt nicht erzählen, was dich bedrückt?«
    Hiram zog scharf die Luft ein. Seine Hände, die auf dem Tisch lagen, ballten sich zu Fäusten. »Kendra«, brach es endlich aus ihm hervor, »ich weiß nicht, wer ich bin.«
    Verwirrt starrte sie ihn an. Als sie wieder Worte fand, fragte sie:
    »Worüber redest du denn?«
    »Ich meine genau das, was ich gesagt habe«, versetzte er mit rauher Stimme fast wütend. Nun, da er einmal angefangen hatte, ergossen sich seine Sätze wie eine Sturzflut. »Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich kenne meinen wahren Namen nicht. Ich weiß nicht, woher ich stamme, mit welchem Erbgut ich belastet bin, was für Kinder ich zeugen würde. Verstehst du um Gottes willen denn nicht? Ich weiß nicht, wer ich bin!«
    »Nein«, rief sie aus, »das verstehe ich nicht.«
    Hirams Kinn sank herab. Er stützte seine Stirn in eine Hand und wühlte in den Haaren.
    »Na, siehst du«, entgegnete er gedämpft. »Ich habe ja gewußt: Falls es mir je gelingen sollte, dir die Geschichte zu erzählen, würde ich's gewiß falsch anstellen. Nun, ich werde es so einfach wie möglich sagen.«
    Sie murmelte töricht:
    »Aber du hast doch erzählt, daß du der Sohn eines Geistlichen seist …«
    Hiram hob den Kopf und unterbrach sie. »Ich bin der Sohn eines Unbekannten. Sie haben mich in einer Mülltonne gefunden.«
    Kendra wartete ab.
    »Die Kirche stand unter einigen Bäumen abseits der Chaussee, die nach New York City führte. Gelegentlich kamen Frauen der Gemeinde zum Saubermachen. Später gesellten sich ihre Männer zu ihnen, und sie aßen im Gemeindehaus zu Abend. Der Schmutz und die Essensreste wurden in eine Mülltonne geworfen, die draußen stand. Am nächsten Morgen brachte der Hausmeister sie zum Müllabladeplatz. Nun, eines Morgens fand der Mann in diesem Dreck ein gerade geborenes Kind.«
    Hiram hielt inne. Während seiner Rede hatte er Kendra nicht angesehen. Er hatte auf seine großen und kräftigen Hände geblickt. So sah er immer auf seine Hände, wenn er sich in einer Situation wußte, wo seine eigene Stärke nichts ausrichten konnte. Es war dann, als wolle er seine Hände tadeln, weil sie nutzlos waren.
    Kendra blieb stumm. Sie war sicher, daß er ihr noch mehr zu erzählen hatte und daß er keine Unterbrechung wünschte. Nach einer kurzen Pause berichtete er weiter: »Dieses Kind war ich. Ich habe gewimmert. Also begriff der Hausmeister, daß ich noch lebte. Wenn er ein bißchen später gekommen wäre, hätte er mich wohl tot vorgefunden. Der arme Kerl hat vor Schreck fast den Verstand verloren. Er ist in die Wohnung des Geistlichen gerannt und hat keuchend von seiner Entdeckung berichtet. Der Geistliche und seine Frau – Mr. und Mrs. Boyd – eilten herbei und betrachteten mich. Sie trugen mich in ihr Heim und sorgten für mich.«
    Hiram schüttelte den Kopf.
    »Sie versuchten dahinterzukommen, wer mich dort hingelegt hatte, kurz es gelang ihnen nicht. In einer kleinen Stadt, wo jeder jeden kennt, wußte keiner etwas von der Geschichte. Ich mußte von außerhalb stammen. In der Nacht war jemand über die Chaussee gegangen – mit einem Kind, das niemand haben wollte. Natürlich war nachts niemand in der Kirche. Eine gute Gelegenheit, das Kind wegzuwerfen und sich ungesehen wieder aus dem Staub zu machen.«
    Wieder legte Hiram eine Pause ein.
    »Die Boyds waren freundliche Leute. Sie behielten mich, gaben mir ihren Namen und zogen mich zusammen mit ihren eigenen Kindern auf. Ich bin dankbar für alles, was sie getan haben. Solange ich lebe, wird es ihnen an nichts fehlen. Sie waren freundlich. Aber Kinder sind nicht immer freundlich. Kinder können schrecklich grausam sein. Sie wissen gar nicht, daß sie grausam sind, wenn sie Käfer fangen und ihnen die Flügel abreißen. Man hatte mich in einer Mülltonne gefunden. Jedermann in der Stadt wußte das. In der Schule verspotteten mich die andern Jungen. ›Hiram ist ein Stück Dreck! Hiram haben sie im Müll gefunden!‹«
    Er lächelte bitter.
    »Ich habe bald kapiert. Ich wurde größer als die meisten von ihnen. Ich habe sie verprügelt. Das hat ihnen den Mund verschlossen, aber sie haben es nie vergessen, und auch ich habe ihre Schmähworte nicht vergessen. In Kleinstädtchen vergessen die Leute überhaupt nie etwas. Ich beschloß: Sobald ich erwachsen bin, werde

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