Alles Gold Der Erde
hatten. Sie wußten, wie man Ochsengespanne lenkt und auf plündernde Indianer feuert. Sie hatten es nicht nötig, in einem fort jemanden herumzukommandieren, weil sie es nicht nötig hatten, ihren eigenen Wert unter Beweis zu stellen.
Kendra zuckte die Schultern.
18
Während der nächsten beiden Tage beobachtete Kendra eifrig, wie Marny und ihre Leute den Calico-Palast errichteten. Die Schwarzbärte hatten die Äste zweier junger Kiefern abgehackt und die Wipfel geköpft, so daß die Stämme als Zeltpfosten stehenblieben. Darüber bauten sie ein Holzgerüst, das sie zerlegt mitgeführt hatten. Um dieses Gerüst drapierten sie nun das Zelt. An einem andern Baumstumpf in der Nähe wehte ein Stück Stoff, auf das Marny in großen schwarzen Lettern ›Calico Palast‹ gemalt hatte. Rot wäre ihr eigentlich lieber gewesen, aber sie hatte keine rote Farbe zur Hand, weshalb sie sich mit Holzkohle zufriedengeben mußte. Immerhin hatte die Örtlichkeit nun, wie sie meinte, mit dem Namen auch einen Charakter bekommen.
Das Zelt war häßlich und zugig; die Seiten sackten ab. Dennoch beherrschte es von jetzt an Shiny Gulch. Es war das erste, was ein Neuankömmling erblickte, und es war auf alle Fälle der imposanteste Bau nach Sutters Fort. Einen Boden hatte das Zelt zwar nicht. Die Erde war klumpig und weich. Aber Marny war der Ansicht, die Männer würden sie bald festgetrampelt haben. Sie und Delbert stellten Kisten als Tische auf, und als Stühle benutzten sie hölzerne Bottiche, in denen einmal Salzfleisch für Matrosen gewesen war. Gegenüber dem Eingang richtete sie die ›Bar‹ her, die nichts anderes war als die beiden Fässer und das Brett, die Marny bereits unter freiem Himmel als Spieltisch gedient hatten. Hinter dieser Bar standen die Alkoholfäßchen. Man öffnete das Spundloch und schenkte in die Zinnbecher, die der Durstige selber mitzubringen hatte.
Marny verkündete im voraus, daß ihr Alkoholvorrat gering sei. Sie besaßen nur das, was sie mitgebracht hatten; hinzu kam noch ein wenig, das sie Händlern abgekauft, die manchmal mit einem Wagen voller Waren im Lager erschienen. Aus diesem Grund könne jeder Mann bloß dreimal nachgefüllt bekommen. Vertraulich erzählte Marny, daß sie dadurch die Ordnung aufrechterhalten wolle:
»Ich will, daß wir uns schon in den ersten Wochen einen blütenweißen Ruf zulegen. Keine Betrunkenen, keinen Krawall, nur anständige Unterhaltung! Später, wenn sie ohne uns nicht mehr auskommen, können wir aus dem Fort so viel Schnaps heranschaffen lassen, wie wir nur wollen.«
Am Mittwoch, dem 17. Mai, ihrem elften Tag in Shiny Gulch, eröffneten Marny und Delbert den Calico-Palast. Pocket, Ning und Hiram gingen hin. Pocket kam bald zurück, um Kendra und Ted Bericht zu erstatten. Wie er sagte, gebe es keinen Grund, warum nicht auch Kendra sich die Sache einmal ansehen solle. Alles sei in bester Ordnung, wie Marny versprochen habe. Umgängliche Burschen spielten Einundzwanzig; Sonderlinge hockten stumm an einem andern Tisch, wo Delbert Faro spielte. Die Schwarzbärte kümmerten sich darum, daß alles mit rechten Dingen zugehe. Es seien auch einige Tische da, die stundenweise gemietet werden könnten. Lulu und Lolo betreuten die Bar. Hin und wieder mache ein Mann eine erwartungsvolle Bemerkung zu ihnen, aber ein Blick der Schwarzbärte überzeuge ihn, daß dergleichen nicht ratsam sei. Wenn der Betreffende jedoch nicht kapiere, dann geleite einer der beiden ihn hinaus und empfehle ihm, sich unter einen Baum zu setzen und in aller Ruhe über die Angelegenheit nachzudenken.
So gingen sie denn alle drei zum Calico-Palast. Kendra setzte sich in der Nähe der Bar auf einen ehemaligen Schweinefleischbottich. Ted bestellte einen Drink, und Pocket bemerkte, daß Lulu und Lolo auch Tee zu offerieren hatten. Für einen Drink verlangten sie einen Dollar. Für eine Tasse heißes Wasser mit ein paar Teeblättern darin mußten fünfzig Cent berappt werden – aber die Männer hatten zwei Tassen zu bezahlen, ob sie nun alle beide tranken oder nicht, denn ein Dollar war der mindeste Betrag, der an der Bar entgegengenommen wurde. Man konnte auch mit Goldstaub zahlen; auf der Theke stand eine kleine Waage. Wer seine Tasse vergessen hatte, mußte eine zusätzliche Summe entrichten. An diesem Abend schauten fast alle Männer des Lagers einmal herein, nur nicht Orville Posey. Auch Nathan Larch und Will Gibson kamen; Hester und Sue jedoch, die nicht so keck waren wie Kendra, blieben am Eingang
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