Alles Gold Der Erde
sollten. In ihrer Abwesenheit würden Ning und Ted mit dem Schwingtrog arbeiten, und das gefundene Gold würde mit Pocket und Hiram nach deren Rückkehr geteilt. Das bisher geschürfte Gold sollten sie mitnehmen und im Laden sicher deponieren. Hier in Shiny Gulch hatte es bis jetzt zwar noch keine Diebstähle gegeben; mit einem Taugenichts wie diesem Crawford indessen mußte man vorsichtig sein.
Der lange Junitag war noch immer hell. Als sie nach dem Glühen auf den Gipfeln schaute, dachte Kendra, wie wohl sie sich doch fühlte. Sie war müde, sie alle waren müde, aber am Ende eines Tages war man nun einmal müde. Sie würden dann um so tiefer schlafen und morgen gut ausgeruht sein.
Morgen würden sie übrigens wiederum Bohnen und Schmorfleisch essen müssen, doch würde sie diesmal mit wildem Dill würzen statt mit Salbei. Und sie würde einen Topf mit einem Kraut füllen, das Ning ihr gezeigt hatte. Es war eine hübsche kleine Pflanze, zehn oder zwölf Zentimeter hoch, deren Stengel durch ein rundes flaches Blatt wuchs und dicht oberhalb dieses Blattes in einer rosafarbenen Blüte endete. Ning meinte, diese Pflanze habe seines Wissens keinen Namen. Aus dem Blatt ließ sich jedoch ein guter Salat anrichten; deshalb nannten sie ihn ›Goldgräberlattich‹.
Hiram, der müßig dagelegen und die Wolken betrachtet hatte, richtete sich auf dem Ellenbogen in die Höhe. »He, was ist das?«
Die anderen blickten sich um. Alle vernahmen sie nun das Trappeln der Pferdehufe. Foxy kam eilig heran und schrie etwas. Anscheinend gab er Alarm, denn die Männer ließen ihre Pfannen sinken, und die Frauen griffen nach ihren Kindern. Hiram lief bereits davon, um zu erfahren, was los sei. Sie sprangen auf die Füße, und Ted legte einen Arm um Kendras Schultern. Weiter unten sahen sie Marny und Lolo zum Eingang ihres Zeltes gehen, gefolgt von Delbert. Hiram traf Foxy, hörte sich dessen Worte an und kam zurück.
»Dieser verfluchte Crawford hat seinen Fusel zu den Abs geschafft und macht jetzt mit ihnen seine Geschäfte.«
Alle stöhnten vor Wut. Ein Drink, der einen Weißen kaum ein wenig belebte, machte aus einem Ab eine gefährliche Bestie, und jedermann im Lager wußte das. Hiram sprach weiter: »Ellet hat versucht, ihn zurückzuhalten, aber Crawford hatte das heulende Elend – kein Mensch wolle einen so armen Kerl wie ihn leben lassen, und als er Hunger gehabt und um ein wenig Essen gebeten habe, sei er von einem Schurken fast umgebracht worden.«
»Bastard«, brummte Pocket. »Entschuldige, Ma'am.«
»Wenn Pocket ihn hätte töten wollen, wäre ihm das wohl auch gelungen«, versetzte Kendra unwillig.
»Die Abs werden wild«, meinte Hiram. »Wenn wir nicht runtergehen und dafür sorgen, daß sie in ihrem Kaff bleiben, werden sie das ganze Lager überschwemmen.«
Schon fanden sich bewaffnete Männer ein. Trotz des Stimmengewirrs glaubte Kendra das Heulen der betrunkenen Wilden zu vernehmen. Ihr Verstand sagte ihr zwar, daß dies kaum möglich sein könne, da sie immerhin drei Meilen entfernt standen, aber ihr Gehör ließ sich dennoch täuschen.
Ning hatte mittlerweile mit Delbert und den Schwarzbärten konferiert. Er berichtete Kendra: »Sie und Marny und die Hawaiimädchen werden die Nacht am besten im Zelt verbringen, Delbert steht draußen Wache. Ning und die Schwarzbärte werden gleichfalls auf der Hut sein; Ted, Pocket und Hiram gehen zu den bewaffneten Goldgräbern.«
Ted ging mit Kendra zum Zelt und küßte sie zum Abschied. Das Gold war von den Tischen und der Schnaps von der Bar verschwunden. Auf der Theke brannte eine einzige Kerze. An den Wänden hatte Marny Bettzeug ausgebreitet: ein Bündel für Lulu und Lolo, das andere für Kendra und sich selbst.
»Legt euch jetzt hin«, sagte sie zu den Mädchen. »Der Mond steigt, und die Männer im Freien können jede sich nähernde Gefahr ausmachen.« Sie war gelassen, und ihre Stimme klang so warm und besänftigend, daß sie die Ängste der beiden Mädchen schnell verscheucht hatte.
»Wie vernünftig Sie doch sind, Marny«, meinte Kendra.
Marny setzte sich zu ihr aufs Bett und verschränkte ihre Hände vor den Knien. »Ich glaube nicht, daß wir ernstlich etwas zu befürchten haben. Die Abs sind ein gutes Stück weit fort. Ning bewacht euer Gold, und unseres ist außer Sicht. Gleich nachdem wir den Calico-Palast eröffnet hatten, habe ich mir ein Versteck gesucht für den Fall, daß wir jemals so etwas brauchen sollten.«
Es gab eine Pause. Lulu und Lolo
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