Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
Vom Netzwerk:
Anker oder grüßte die Stadt zum Abschied) stellte ich fest, dass ich keine Zigaretten mehr hatte; vergebens stocherte ich mit dem Finger im leeren Päckchen herum. Die Vorräte von Massaua waren zu Ende. Oder Johannes hatte mir einen Teil davon entwendet. Ich durchsuchte gründlich den Tornister, nichts. Geduldig machte ich mich daran, auf der Lichtung die Stummel einzusammeln, die ich so leichtfertig weggeworfen hatte, und brachte etwa ein Dutzend zusammen. Ich schickte mich
gerade an, eine weiße Seite aus der Bibel herauszureißen, als mir einfiel, dass einige«ihrer»Briefe jetzt unleserlich geworden waren. Diese Reliquien konnten mir, so verwaschen und wirr, nichts mehr sagen; also durfte ich diese Blätter ruhig verwenden. So versuchte ich die kurze Reue zu beschwichtigen, die mir die Hand lähmte, während ich aus dem ersten Blatt Zigarettenpapier zurechtschnitt.«Verzeih mir, Liebe», sagte ich zum Schluss. Johannes wandte sich um und sah mich an, wie er es immer tat, wenn er mich sprechen hörte.
    Das Luftpostpapier eignete sich gut; ich drehte also die erste Zigarette, aber gegen Abend war wieder alles aufgeraucht. Jetzt hatte ich zudem noch unter Tabakmangel zu leiden; und auch Johannes konnte mir keinen Tabak geben, denn ich hatte ihn nie rauchen sehen. Und selbst wenn er Tabak gehabt hätte? Hätte er ihn nicht dazu benutzt, mich immer mehr zu demütigen?
    Einsam, wie ich war, verschlimmerte sich mein Unbehagen, und Traurigkeit kam hinzu. Ich ging auf der Lichtung auf und ab, denn ich wagte nicht, vom Hügel hinunterzusteigen; ich war nämlich der Meinung, die Grenzen meiner Sicherheit lägen am Rande des Hügels. Das Maultier der Heeresverpflegung ging ebenfalls auf und ab, zuweilen setzte es sich sogar in Trab; es machte einen
geradezu blühenden Eindruck, vielleicht würde es genesen. Diese Vermutung trug ebenfalls dazu bei, mich traurig zu stimmen, denn wirklich, meine Sympathie für dieses Tier war entstanden, als ich sah, in welch elendem Zustand es war. Damals auf dem Pfad, als es mit all meinen Sachen davongelaufen war, zögerte ich, es zu erschießen, eben weil ich erkannte, dass es schon verurteilt war. Doch jetzt, da es schien, als erhole es sich wieder, beneidete ich es, denn ich spürte, dass ich tausendmal mehr geschlagen war als das Tier, das wenigstens in der Freiheit Trost fand.
    Oft saß ich im Schatten eines Baumes und betrachtete das Hochland und das Tal, und wie es seine Farbe veränderte vom Grau der Morgendämmerung bis zum Violett des Sonnenuntergangs. Vielleicht als Folge der Einsamkeit und der traurigen Gedanken, die mich beunruhigten, kam mir das Tal jetzt sehr viel weiter vor, bisweilen sogar unermesslich; zwischen den beiden Felshängen, schätzte ich, lagen wohl mindestens sieben Kilometer. Obschon mir das Tal so weit zu sein schien, sah ich die beiden Hänge immer ganz scharf, und ich hätte die Bäume und Felsblöcke darauf zählen können. Aber sosehr ich meine Augen auch anstrengte, sah ich doch nie Lastwagen vorbeifahren; oder vielleicht konnte ich sie nur nicht entdecken, weil die Straße anstieg, ausgerechnet
hinter einem Ausläufer, der die Sicht versperrte.
    Es kam nie jemand vorüber im Tal, und dies schien mir ein gutes Zeichen zu sein; das Dorf lag also vollkommen abseits, wie am Ende einer Sackgasse. Auf der einen Seite die Brücke, auf der anderen der Nebenfluss. Vielleicht waren da noch andere Hütten, wenige Kilometer entfernt; das würde erklären, wo Johannes die Eier aufgetrieben hatte. Aber es musste sich wohl um ein noch armseligeres Dorf handeln als das von Johannes, wenn das überhaupt möglich war. Vielleicht wurde das Dorf von einem einzigen Huhn bewohnt. Ich lächelte bei diesem Gedanken und nahm mir vor, Johannes zu bitten, dass er mich hinführe, damit ich meine Wohltäterin kennenlerne. Doch meine Gedanken waren nicht immer so heiter. Mein in den ersten Tagen noch so träger Sinn begann jetzt zu erwachen und malte sich meine Lage aus und die Gefahren, die sie geradezu bedenklich machten. Seit meiner Ankunft im Dorf hatte ich vorsätzlich nicht mehr an meine Krankheit gedacht, obwohl diese künstliche Gleichgültigkeit dann und wann plötzlich von mir abfiel. Dann blieb eine dumpfe, beklemmende Angst in mir, die ich mir nicht verhehlen konnte. Als die Stille und die Ruhe mir die Tage endlos erscheinen ließen, begriff ich, dass mich die Verzweiflung
überwältigen würde, wenn ich nicht durch die vollständige Lektüre des Büchleins jede

Weitere Kostenlose Bücher