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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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fertiggebracht, ihn darauf hinzuweisen.«Und deine Pension? Willst du sie nicht abholen?», fragte ich.
    «Ich gehe alle drei Monate hin», entgegnete er.
    «Und dann kaufst du Salz, Mehl und…»(Was konnte er sonst noch kaufen?)
    «Ja», antwortete er, ohne die Augen von seiner Arbeit abzuwenden. Er arbeitete langsam, spitzte die Pfähle mit seinem Messer zu, wobei er häufig innehielt, um die Lichtung zu betrachten; darüber schien er meine Anwesenheit und seine Tätigkeit
beinahe zu vergessen. Es waren Pfähle, die ihm sicherlich für eine neue Lagerstatt dienen sollten; doch als ich sie zählte, stellte ich fest, dass es für eine Lagerstatt viel zu viele waren; vielleicht wollte er ein sehr bequemes Bett haben oder ein paar Pfähle an der Hütte ersetzen.
    Zuweilen hielt er inne, das Messer in der erhobenen Hand, aber seine Augen sahen nicht weiter als bis zu seinem Feuer oder bis zum ersten Baum oder bis zum Grabhügel, der sich in der Mitte der Lichtung erhob. Wenn er sein Messer wieder ansetzte (und seine Langsamkeit irritierte mich, denn oft brachte er es nicht einmal fertig, das Holz des Pfahls einzukerben), schien er es nur zu tun, um einen lästigen Gedanken zu verscheuchen, der ihn offenbar bekümmerte.
    Doch die Tage gingen vorüber, und er machte nie eine Andeutung. Manchmal kam er, um mir weitere Einzelheiten über die Orte im Tiefland zu sagen, froh, wenn er mich das Notizbuch nehmen sah, in das ich sie eintrug. Auch Johannes, vermute ich, kannte den Wert der Zeit nicht; dort unten veränderten die Jahreszeiten kaum die Farbe der Luft; so erlebte er nur eine einzige Jahreszeit, ohne sich je zu fragen, ob sie eines Tages zu Ende gehe.
    Am vierten Tag wollte ich mich rasieren; ich hatte mir schon die Wangen eingeseift (und Johannes
beobachtete mich, denn diese Tätigkeit musste ihm als ein deutliches Anzeichen für meinen Aufbruch erscheinen), als ich beschloss, mir einen Bart wachsen zu lassen, um auf diese Weise mein Gesicht zu verändern. Ich würde ein anderes Gesicht brauchen können, und in einer Woche würde ich es bekommen.«Ein Offizier, dessen Kinn mit einem wenn auch noch so leichten Flaum geziert ist», dachte ich,«gilt als ein Mann, der mit der Gesellschaft im Einklang ist.»Die Carabinieri würden zögern, bevor sie meine Papiere verlangten, und sich sagen:«Das kann er nicht sein.»Denn ein Bart erfordert eine tägliche Pflege und einen Mangel an Vorstellungskraft, was ein Flüchtling nicht hat und sich nicht leisten darf. Ein brauner Bart, zwei helle Augen, das ist mehr als genug, um einen Ordnungsbeamten zu verwirren.«Also doch ein Bart», schloss ich.
    Und als ich mir die Seife von den Wangen wischte, schüttelte Johannes den Kopf und seufzte.

3
    Meine Kräfte kehrten zurück, allerdings langsam, weil es an Nahrungsmitteln mangelte. Als Johannes sah, dass ich meine Vorräte aufgebraucht hatte und schimpfend den Tornister durchwühlte, kam
er, um mir einen Teil seines Brotes anzubieten, und ich nahm es. Aber es war derart fade, dass ich es nur mit Mühe herunterschlucken konnte; und jetzt erinnerte ich mich, dass ich im Tornister ein Päckchen Salz hatte, und ich bot es Johannes zum Tausch dafür an. Er nahm es, ohne zu danken, wie ein ihm zustehendes Geschenk, steckte sogleich seine Zunge ins Päckchen, kostete das Salz und schien befriedigt zu sein, aber er würdigte mich keines Blickes. Er legte das Päckchen in seine Hütte, und ich stand da, sah ihm zu und bereute bereits meine kindische und impulsive Geste, die nicht einmal geschätzt wurde. Ich fragte mich, wie ich mir wohl neues Salz beschaffen könnte.
    Johannes - wie übrigens alle seinesgleichen - musste es als das kostbarste der Elemente betrachten, das sogar dem Geld vorzuziehen war und, da jetzt der Krieg zu Ende war, auch den Patronen. Ich hatte ihm einen Schatz geschenkt, ohne dafür einen Blick zu erhalten. Die einzige Karte, die ich bei ihm hätte geltend machen können, hatte ich verspielt: Nun würde Johannes fortfahren, mir jeden Tag einen Teil seines Brotes zu geben, das aber immer fader schmecken würde, und ich könnte ihn nicht einmal bitten,«mein»Salz zu verwenden, eben weil ich es ihm geschenkt hatte.
    Gegen Abend, nach einer ungewöhnlich langen Abwesenheit, kehrte Johannes ins Dorf zurück,
und als er an mir vorbeiging, bückte er sich leicht, um mir etwas zu geben, zwei Eier, die ich sofort austrank. Sie waren ganz frisch. Ich fragte ihn, ob er mir jeden Tag welche bringen könne, ich wolle jeden

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