Alles hat seine Zeit
ihr Verbrechen ungestraft geblieben.»
Ich freute mich also, sie getötet zu haben, und ich dachte nicht mehr an den langen Klageschrei, der ihr entwich, als ich getroffen hatte, jenen herzzerreißenden Klageschrei, den die Angst und die Ungläubigkeit ihr entrissen.
Ich näherte mich dem Grab, doch ich erkannte es kaum wieder; der Wind hatte den Boden geebnet und einige Sträucher weggerissen. Kein verdächtiger Geruch. Ich erkannte es an den Steinen. Vor diesen Steinen verflog aller Groll; und ich ertappte mich dabei, wie ich mir all die Augenblicke jenes Tages in die Erinnerung zurückrief: ihr Körper, weich und geschmeidig, der in meinen Armen unermesslich groß und dann wieder klein wurde, das dickflüssige Blut, das an ihrer Kehle und ihrem Busen klopfte. Und ihre Hand, so schamhaft auf die Lippen gelegt, als ich sie mit meinen Zeichnungen zum Lachen zwang. Von diesem Blut und von dieser Hand kamen mir all meine Missgeschicke, und es sollten noch weitere kommen, ich konnte nicht ahnen, wie viele.
Ich sah sie wieder auf dem Pfad dahingehen, lächelnd und fern; und ich fühlte auch, dass sie unschuldig war. Nun suchte ich in der Erinnerung, auf welche Weise ich mich sonst hätte anstecken können, aber ich fand nichts. Mariam war die Erste und die Letzte gewesen. Ich hatte nie Kleidungsstücke von Eingeborenen berührt, außer Mariams Gewand, das ich mir sorgfältig um die Kratzwunde wickelte. Und nur im Haus von Rahabat war ich zweimal gewesen, als harmloser Besucher; und es war ein von gesunden und sogar sauberen Menschen bewohntes Haus. Dennoch, vor diesem Grabhügel gelang es mir nicht, den Zweifel zu vertreiben, ob Mariam nicht doch unschuldig sei (obschon alles gegen sie sprach): Und so konnte ich auch die Hoffnung nicht vertreiben, dass ich mir meine Krankheit nur einbildete. Wenn Johannes doch reden würde! Aber von diesem Alten erhoffte ich jetzt gar nichts mehr. Und im Übrigen: Waren etwa nicht meine Flecken vorhanden, meine Wunde; gab es nicht diese Hütte, die besser war als die anderen, und diesen Vers, den der unbekannte Maler mir gewidmet hatte, mit dem er mich mahnte, dass ich noch in Gott lebte?«Gehn wir», sagte ich,«deine Zweifel übersteigen alles Maß», und ich setzte mich neben das Grab.
Obwohl ich schnupperte, nahm ich keinerlei
Geruch wahr. Nein, dieser süßliche Gestank, der mich eine Zeitlang gequält hatte, war nur eine Ausgeburt meiner zerrütteten Phantasie gewesen. Mariams Rache gab es nicht, noch weniger als mein Verbrechen. Wir mussten einander verzeihen. Sie war tot; ich verbrachte in diesem dreckigen Tal den Urlaub, der mich dazu bewogen hatte, ihr Ende abzukürzen: Möglicherweise war dies der Sinn ihrer Rache. Hinzugefügt hatte sie noch die Wunden, die Hütte, in der sie gewohnt hatte und die zweifellos besser war als die anderen.
«Liebe Mariam», sagte ich,«wenn ich nicht beschlossen hätte, an einem dieser Tage - vielleicht am Montag - fortzugehen, würde ich gern darin wohnen. Es wäre mir nützlich, nahe beim Fluss zu sein; ich könnte meine Wunden waschen, ohne dem Alten Wasser wegzunehmen. Dort unter den düsteren Bäumen könnte ich einen Schatten genießen, der jenem sehr ähnlich ist, der auf deine Lider sank, als ich dir den Turban übers Gesicht legte.»
Ich sprach mit lauter Stimme, und das Maultier kam und scheuerte sich an meinem Rücken.«Ich nehme an», fuhr ich fort,«dass dein Leben etwas wert war, wenn du mir zum Tausch sogar anbietest, worum ich dich nicht gebeten habe: Gastfreundschaft. Und doch schien es mir nicht, als sei das Leben eines Menschen so viel wert, dem man
irrtümlich, ja, irrtümlich begegnet - das Leben eines Menschen, der uns vorkommt wie etwas mehr als ein Baum und etwas weniger als eine Frau. Vergessen wir doch nicht, dass du nackt warst und ein Teil der Landschaft. Ja, du warst hier, um auf ihre Proportionen hinzuweisen.»
Ich erhob mich.«Du darfst nicht betrübt sein», schloss ich.«Der Doktor von der Baustelle wäre nicht gekommen; er sah nicht aus wie jemand, der um fünf Uhr früh aus dem Bett aufsteht, um in den Busch zu gehen.»
Das Maultier stieß mich mit dem Kopf, dass ich beinahe hinfiel. Im Grunde genommen war ich froh, dass es sich an mich erinnerte, und ich redete lange mit ihm, indem ich mit ihm schimpfte; es war eine gute Gelegenheit zu sprechen. Dann schwang ich mich auf seinen Rücken. Es setzte sich in Trab, auf den Hügel zu, und fast rennend kamen wir dort an. Ich ließ mich vor meiner Hütte
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