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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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ich unter dem Krokodil einen Fries mit einer kurzen Inschrift in koptischen Buchstaben.«Was bedeutet dieser Satz?», fragte ich. Der Alte nahm mir die Streichholzschachtel aus der Hand, zündete ein paar Hölzchen an, buchstabierte, kniff die Augen zusammen und übersetzte dann mühsam. Ich verstand es nicht recht, ich musste ihn die Worte wiederholen lassen, endlich aber verstand ich nur allzu gut; und in diesem Augenblick wusste ich, dass dies meine Hütte war und ich für immer darin wohnen würde.
    Bei diesem Gedanken überkam mich eine solche Trostlosigkeit, dass ich zur Lichtung zurückrannte, und diese elende, abscheuliche Lichtung kam mir vor wie ein wundervoller, sonnendurchfluteter Garten. Die Gegenwart des Maultiers, das Licht, das die Bäume belebte und in die fernen Berge und den Rand des Hochlandes hineinschnitt, so dass sie ganz nahe schienen, die schiefen und geflickten Hütten, der mit Unkraut überwachsene Grabhügel, Johannes’ Feuer, das knisterte, und der Kochtopf, der dampfte, alles kam mir hier vor wie ein Lobpreis auf das Leben. Nie
hat ein Schiffbrüchiger auf seinem Floß, wenn er nach Nächten auf unbeständigem Meer an einem Sandstrand erwachte, umringt von Damen und Kavalieren, die ihn mit Sympathie betrachteten, und von eilends herbeigerufenen Ärzten und Fotografen, ein so süßes Gefühl empfunden, wieder lebendig zu werden, wie ich es auf dieser Lichtung empfand. Nein, nie wollte ich dieses Dorf verlassen, um mich in die unheimliche Hütte zurückzuziehen, die mich erwartete. Als das Maultier in Reichweite an mir vorbeitrabte, streichelte ich ihm lange über den Kopf, während ich vor Tränen nicht sehen konnte, was Johannes tat. Nichts Außergewöhnliches, er kochte.
    «Niemand wird mich daran hindern können hierzubleiben», sagte ich zum Maultier, das sich, erfreut über die Liebkosungen, an meiner Schulter scheuerte. Um nicht der Trostlosigkeit zu unterliegen, beschloss ich, mir das Frühstück zu bereiten, und ich machte mich daran, den Teig zu kneten. Doch bald konnte ich nicht länger widerstehen und lief zu Johannes.«Wer ist die Person, die in jener Hütte wohnte?»
    Johannes sah mich ungeduldig mit zusammengekniffenen Lippen an und hörte auf zu essen. Und da er sich zu keiner Antwort entschloss, wiederholte ich die Frage ein-, zwei-, dreimal. Ich fuchtelte mit meinen teigbeschmierten Händen
vor seiner Nase herum, bereit, ihn zu ohrfeigen, wenn er nicht antwortete.
    «Wem gehört diese Hütte?», brüllte ich schließlich.
    Und Johannes erwiderte:«Einem Priester.»
    Mein Zorn verrauchte mit einem Schlag.«Und wo befindet er sich jetzt?»
    Johannes sah ringsumher, erstaunt, dass ich nicht wusste, wo sich der Priester befand. Dann sagte er:«Dort»und zeigte mit dem Messer in der Hand auf den Grabhügel.
    Als er sich wieder an sein Essen machte, ging ich zurück, um den Teig zu kneten, und ich schaute den Grabhügel an; eine leise Hoffnung richtete mich auf, bis mir plötzlich in den Sinn kam, was Johannes gesagt hatte: dass nämlich diese Person zurückkehren werde. Da lag also sein Widerspruch. Er hatte gelogen, nur um nicht Mariams Existenz zugeben zu müssen. Das heißt also, er nahm an, dass ich aussätzig war und dass diese Hütte mir von Rechts wegen zustand, aber Mariams Existenz wollte er nicht zugeben.
    «Johannes», sagte ich,«wann wird sie zurückkommen? »
    Er blickte mich lächelnd an, schüttelte den Kopf und erwiderte, dass er dies nicht sagen könne; dass es niemand sagen könne.

7
    Ich ritzte die Tage mit dem Taschenmesser in einen Pfahl der Hütte ein, es waren schon achtzehn Kerben. Weitere sechs Kerben zeigten die Tage an, die seit dem Beginn des Urlaubs verstrichen waren, und wenn es sechsundvierzig sein würden (denn außer dem einen Monat rechnete ich die Tage der hypothetischen Reise nach Italien hin und zurück), müsste ich mich als Deserteur betrachten: noch eine Anklage mehr. Doch vor diesem Tag wollte ich das Dorf bestimmt verlassen in Richtung Massaua, wo kein Kapitän eines alten Kahns mir die Einschiffung verweigern würde, jetzt, da ich über so viel Geld verfügte. Ich zählte es oft, es waren siebzigtausend Lire, die ich im Tornister, gut verschlossen im Toilettentäschchen, verwahrt hielt, um zu verhindern, dass etwa eine Ratte (ich hatte sehr große und dicke um die Hütte herumlaufen sehen) sie zernage. Auch dem Maultier traute ich nicht, das immer darauf erpicht war, alles Mögliche zu verschlingen.
    Das Maultier setzte Fett an,

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