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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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hinaufblickte, betrachtete ich bisweilen die unselige Malerei über dem Türbogen und sagte mir die Worte auf dem Fries wieder vor, die mich so salbungsvoll verdammten. Der Erzengel hatte das runde und staunende Gesicht, das die eingeborenen Künstler unverändert
ihren Modellen malen. Anstatt auf den Drachen zu achten, den er gerade durchbohrte, starrte er vor sich hin, das heißt, er starrte mich an. Von welcher Stelle aus ich die Malerei auch betrachtete, die runden Augen des Erzengels starrten mich an. Es war nichts Sonderbares daran. Doch diese Augen waren unerträglich, da sie den Ausdruck eines dümmlichen Vertrauens hatten. Der Drache (das plumpe Krokodil) krümmte sich unter dem Lanzenstich, aber der Erzengel beachtete ihn überhaupt nicht, denn er war ganz versunken in einen sehr elementaren Gedanken. Vielleicht dachte er auch an nichts; er wusste schon im Voraus von seinem Sieg und empfand nicht die geringste Befriedigung darüber. Es war kein Kampf, sondern eine Vollstreckung, eine Art, die Stärke der Lanze und die Geschicklichkeit des Pferdes zu erproben.«Zu einfach», dachte ich,«man tötet den Drachen nicht jeden Tag. Wenn dies eine Allegorie sein soll, gut. Aber der Erzengel versuche doch einmal, die unsichtbaren Drachen zu töten, von denen es in meinem Blut und in diesen verfluchten Wunden wimmelt. Gegen diese winzigen Drachen richten keine Lanzen etwas aus, nur die Zeit kann sie töten, doch sie tötet auch den, der sie in sich trägt.»Noch einmal überkam mich an diesem Tag die Niedergeschlagenheit wegen des traurigen Schicksals, das mir beschieden war.
Meine Augen füllten sich mit Tränen, und gerade wollte ich der Rührung nachgeben, als ich zwischen den bleischweren Wimpern hindurch einen Schatten auf dem Pfad näher kommen sah. Es gelang mir nicht, mich zu bewegen. Vielleicht wollte ich mich auch gar nicht bewegen, oder ich war zu müde, es zu versuchen. Unter der düsteren Kuppel zeichnete sich nur ein schwacher Schatten ab. Es war Elias.
    «Guten Tag, Herr Oberleutnant», sagte er, als er die Stufen erreicht hatte. Ich richtete mich mit einem Ruck auf, und im Türrahmen blieb Elias kerzengerade stehen, ein kleiner dunkler Umriss gegen das Schwarz der Blätter, die rechte Hand an der Stirn, den Mund zu seinem breitesten Lächeln verzogen, die Augen freudestrahlend.
    «Elias», sagte ich, und meine erste Regung war, ihn zu umarmen wie einen wiedergefundenen Bruder; ich konnte mich noch rechtzeitig zurückhalten, aber ich war glücklich, und das wollte ich ihm nicht verbergen. Ich sprang auf und begann ihn mit Fragen zu bestürmen, wobei ich ihm nicht einmal Zeit ließ, zu antworten. Überwältigt von diesem unerwarteten Empfang, sah Elias mich misstrauisch und sogar befremdet an, indem er sich wohl vor allem nach dem Grund meiner Anwesenheit im Dorf fragte. Dass er darüber nachdachte, merkte ich, sobald wir auf der Lichtung
waren. Er vermied es, mich anzuschauen, offensichtlich verlegen, mich so heruntergekommen zu sehen: bärtig, in einem Hemd, das jetzt in Fetzen war, und ohne Rangabzeichen. Vor undenklichen Zeiten hatte ich die Krawatte weggeworfen. Und den Tropenhelm, den ich nicht mehr fand, musste sich wohl das Maultier der Heeresverpflegung einverleibt haben.
    Elias dagegen war ordentlich gekleidet in seiner zurechtgeflickten Uniform. Auf dem Kopf trug er eine Feldmütze zur Schau und ums Handgelenk eine Armbanduhr, das Zeichen, dass seine Geschäfte blühten. Ich fragte ihn, wann er den Schmuggler zuletzt gesehen habe.
    «Ich habe ihn gestern gesehen», erwiderte er.
    «Wo, Elias?»
    «Dort», sagte er und zeigte mit der Hand zum Rand des Hochlands hinauf. Er fügte hinzu, dass alle da oben im alten Lager seien, seit einer Woche. Dies also war die lang erwartete, sehnlich herbeigewünschte Verlegung?«Das sind die Geheimnisse der Gegenbefehle», dachte ich und lächelte. Aber ich stellte mir ihre Niedergeschlagenheit vor.
    «Bist du bei ihnen?»
    Er schüttelte den Kopf, um stolz zu verneinen. Er war frei, unabhängig, er reiste auf eigene Faust herum und begann die ersten Freuden des ungeteilten
Verdienstes zu erfahren. Einen Augenblick lang beneidete ich ihn; seine Sicherheit als«gemachter Mann»verdross mich sogar. Er sprach jetzt beinahe fließend Italienisch, wobei er Wörter aus allen nur möglichen Dialekten hineinmischte, aber ohne die Verben im Infinitiv zu gebrauchen. Während Elias redete, wühlte Johannes in seinem Brotbeutel herum und zog etwas daraus hervor, das er

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