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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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elementare Geheimnis eines guten Imperialismus.
    Johannes sah mich an, jedoch ohne Neugier, vielleicht sah er auch gar nicht meine Person an, sondern darüber hinweg; er schaute zum Rand des Hochlands hinauf und wieder zum Tal, das sich der Sonne dieses schwülen Tages öffnete.«Dieser Alte beharrt darauf, hier zu leben», dachte ich,«die Hyänen werden hierherkommen, sofern sie nicht schon gekommen sind, sofern die Leichen, die in diesem Grab liegen, sie nicht schon angelockt haben.»
    «Mohrchen», sagte der Schmuggler, und das Kind trippelte vertrauensvoll auf ihn zu. Der Schmuggler hielt ihm die Hose hin und bestand darauf, dass es sie anzog. Darauf redete er unentwegt in seinem Dialekt, und die beiden verstanden
sich vortrefflich.«Nimm», und er gab ihm die Hälfte von seinem Brot; das Kind wollte es nicht nehmen, doch dann verschlang es das Brot fast mit einem Bissen. Der Schmuggler hatte eine schlechte Meinung von mir, das spürte ich. Ich beschränkte mich auf eine leere akademische Übung in Mitleid, ich würde es nie lernen. Er dagegen hatte sich mit ein paar Zurufen auf ihre Seite gestellt, alles war gesagt worden zwischen diesen Menschen, nicht einmal die Sprachenverwirrung vermochte sie zu trennen, denn sie verstanden sich wie durch Wurzeln verbunden, die dunklen Schicksalen voll böser Geheimnisse gemeinsam sind.«Fang», sagte er zum Alten, und der Alte fing das Brot im Flug auf und verbarg es in den Falten seiner Toga. Das war alles. Und ich stand da und stellte Fragen, und der Alte würde mich für den Anführer des Exekutionskommandos halten, der zwar keine Schuld hat, aber der es doch immerhin ist, der die Hand zum Befehl senkt und dann sagt:«Einer muss es tun.»
    Johannes machte sich wieder daran, das Grab zuzuschütten; er wollte seine Arbeit zu Ende bringen, ehe die Sonne zu hoch stand und der Schatten, den die Bäume spendeten, verschwand. Ich wandte kein Wort mehr an ihn und näherte mich dem Kind, das gerade aß. Ich wusste nicht, wie ich die Frage aussprechen sollte, die mich peinigte.
War es vielleicht der Sohn der Frau? Ich ging um ihn herum und tat, als betrachte ich die Landschaft. Ich bat den Schmuggler um ein Streichholz, damit ich einen Grund hatte, das Kind genauer zu beobachten. Ich lächelte ihm zu in der Hoffnung, dass es ebenfalls lächle. Jenes Lächeln würde ich wiedererkennen.
    Das war’s, ich machte also eine Frage von Einzelheiten daraus, meine Neugier war wirklich eines Forschers würdig, der die Einheimischen studiert. Sohn, Bruder, Neffe, kam es etwa darauf an? Genügten nicht diese grüngrauen Augen, diese verschämte Gebärde, mit der er das Brot zum Mund führte?
    Ein paar Minuten später verließ ich das Dorf, sehr viel froher als vorher, als ich mich auf den Weg dorthin gemacht hatte.
    Mein Schuldgefühl war fast verflogen.«Man hätte die Frau sowieso umgebracht», dachte ich. Und auf welche Weise! Ich hatte ihr grausames Schicksal um wenige Tage vorweggenommen und ihr ein viel schmerzlicheres Ende erspart. Sie hatte nicht mit angesehen, wie die Ihren getötet wurden, und auch nicht, wie man ihre Hütten in Brand steckte, und sie hatte auch die Rufe der Männer nicht gehört, die töten um des Tötens willen. Dies sagte ich mir immer wieder, während ich auf dem Pfad den Hügel hinabstieg. Und ich
brachte es sogar fertig, mich beinahe zu freuen, dass ich sie getötet hatte.
    Aber warum folgte der Alte mir jetzt? Wollte er mit mir sprechen? Ich blieb stehen, und er grüßte wieder so, wie er es mit zwanzig Jahren getan haben mochte.«Herr Oberleutnant», sagte er,«willst du das Kind bei dir behalten?»Ich und der Schmuggler sahen ihn erstaunt an.
    «Es ist tüchtig», fuhr Johannes fort,«es wird lernen, dich zu bedienen. Unnütz, dass es hierbleibt. »
    «Johannes», erwiderte ich,«ich danke dir, aber ich kann das Kind nicht mitnehmen. Du weißt, dass ich nicht tun kann, was ich will. Wenn du das Kind ins Lager hinaufschicken willst, geben wir ihm jeden Tag Brot und auch andere Sachen, aber ich kann es nicht mitnehmen.»Und ich lächelte.
    «Du kannst es nehmen», entgegnete er zudringlich, beinahe frech, während er vermied, mich anzusehen.
    «Ich kann nicht», antwortete ich. Und als er mich jetzt ansah, hielt ich seinem Blick stand. Er schaute mich starr an, geradeso wie mich der Hauptmann an diesem selben Morgen angeschaut hatte. Er sagte nichts und ging fort.
    Am Wildbach angelangt, sahen wir, dass das Kind uns folgte (das hatte ihm vermutlich der Alte

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