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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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Person in ihm erwecken musste. Er hatte sich auf die Fersen gesetzt, und seine mageren Beine kamen aus der Toga hervor, die er sich bei der Arbeit um die Hüften gewickelt hatte.
    «Guten Tag, Herr Oberleutnant», erwiderte er.

    Er blickte mich an, doch er konnte mich nicht wiedererkennen; wir hatten uns nur einmal gesehen, und ich war vom Schatten geschützt gewesen, den die Petroleumlampe in die Ecken jenes Zimmers geworfen hatte.«Ein von der Vorsehung gesandter Schatten», dachte ich. Der Alte sah mich aufmerksam an, vielleicht erstaunt, dass ich das Wort an ihn gerichtet hatte. Nun fragte ich ihn, während ich auf das Grab zeigte:«Ist es einer von den Deinen?»
    Dies war keine Niederlage, vielmehr war es ein Sichergeben auf Gnade und Ungnade. Der Alte schüttelte den Kopf, ohne zu sprechen, und fuhr fort, Erde ins Grab zu werfen. Er sah mich nicht mehr an; gewiss wünschte er, ich möge fortgehen. Stattdessen hatte ich mich auf einen großen Stein gesetzt und rauchte.«Sprichst du Italienisch?», fragte ich.
    Er nickte. Und nun fügte ich hinzu:«Erzähle mir.»
    Der Alte erhob sich und starrte mich an. Einen Augenblick lang glaubte ich, er wolle den Stein nach mir schleudern, den er in den Händen hielt.
    «Du weißt es, Herr Oberleutnant», gab er zur Antwort. Dann rief er dem Kind etwas zu, das sich anschickte, ihm Steine zu bringen, einen nach dem anderen.
    Das Kind hatte sich unterdessen über unsere
Anwesenheit beruhigt, mein kurzes Gespräch mit dem Alten hatte es geradezu wagemutig gemacht, und jetzt trippelte es auf der Lichtung hin und her, wendete beim Steinesammeln seine ganze Kraft auf, damit ich es bewundern sollte. Es legte seine Steine neben den Alten und lief, um noch mehr zu holen: Voller Eifer wählte es die größten aus und warf nach rascher Überlegung die kleinen fort.
    Der Schmuggler langweilte sich nicht. Er drehte sich eine Zigarette, beteiligte sich aber nicht an unserem Gespräch; er wusste alles, diese Geschichte war ja schon alt. Er liebte die Eingeborenen nicht, aber er liebte auch nicht jene, welche sie umbrachten. Er, der gezwungen war, ohne Waffen in den Alpen umherzustreifen (wenn man ihn mit Waffen erwischte, wäre es aus), hatte den zu hassen gelernt, der sich der Waffen bedient und zielt und schießt, sowie er nur kann, um seinen Ansichten Nachdruck zu verleihen. Diese Eingeborenen standen ihm näher als mir, deshalb fühlte er sich nicht verpflichtet, irgendeine Komödie zu spielen. Man sieht zu, wie die Toten begraben werden, und es ist sinnlos, dem Totengräber Fragen zu stellen. Warum diese Ausrufe des Vorübergehenden?«Wie ist es geschehen? Erzähle, guter Mann. Es tut mir leid!»
    Dies dachte der Schmuggler, man brauchte nur
zu sehen, mit welchem Ingrimm er an seinem Papierchen leckte. Aber ich spielte nicht Komödie, weil mich die Neugier trieb; er konnte das allerdings nicht wissen.
    Ich fragte den Alten, woher er meine Sprache so gut könne. Darauf zog er aus seinen Hosen eine alte Brieftasche, suchte darin ein Papier und reichte es mir. Es war eine von der italienischen Regierung ausgestellte Pensionsbescheinigung. Der Alte war in seinen guten Tagen Askari gewesen, und nachher war er an diesen Ort gekommen, um hier zu leben. Ich fragte mich, wie er nur auf einem so elenden ins Tal eingefügten Hügel leben konnte, unter diesen unleidlichen Bäumen.
    Er hieß Johannes 7 . Ich wunderte mich, dass er nicht eingegriffen hatte, um das Blutbad zu verhindern, doch ich wusste, dass er in jenen Tagen im Hochland gewesen war. Ich fragte ihn immerhin, warum er nicht eingegriffen, warum er nicht dieses Dokument vorgezeigt habe, das alle respektiert hätten.«Ich war nicht im Dorf», sagte er und zeigte auf das Kind. Ich glaubte in seinen Worten das Bedauern darüber zu hören, dass er sich ausgerechnet an dem Tag entfernt hatte, an dem seine Anwesenheit nützlich gewesen wäre; doch es war die Befriedigung darüber, dass er das Kind gerettet hatte, deshalb sprach er mit leiser
Stimme. Wer kennt sich da schon aus, bei den Soldaten? Wenn sie ihm dieses Stück Papier vor der Nase zerrissen hätten?
    Die Zaptiè hätten es getan, ohne es sich zweimal zu überlegen. Sie waren zu Pferd gekommen, um dieses Unternehmen rasch zu erledigen; sie waren auf dem Vorbeiritt, und zwei oder drei Strohhütten sind schnell angezündet. Und übrigens erinnerten sich die Zaptiè daran, was die Askari in Libyen getan hatten, 8 die schließlich vom gleichen Herrn bezahlt wurden, denn dies ist das

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