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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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Der Schmuggler sagte:«Diese Leute binden sich nicht an einen.»
    Seine Worte ermunterten mich, und ich dachte nicht mehr an das Kind.

2
    Als der Befehl kam, das Lager nach A. zu verlegen, war die Freude der Soldaten so groß, dass auch ich wieder ein wenig Hoffnung schöpfte.
    Elias war nicht zurückgekehrt, und so würde er unsere Spur verlieren. Vielleicht aber würde er trotzdem zu uns gelangen, der Schmuggler sah es voraus. Ihn aber nicht mehr in meiner Nähe spüren zu müssen, war bereits ein Trost. In diesen Tagen bemächtigte sich meiner eine ungewohnte Heiterkeit, und die Kameraden von der Offiziersmesse begannen bei meinen Erzählungen wieder zu lachen. Der Major sagte mir wiederholt, dass er sich um meinen Urlaub bemühe, ich solle nur ruhig sein. Nach sechs Tagen hatten wir unser Lager ein paar Kilometer außerhalb von A. aufgeschlagen, in der Nähe eines anderen Truppenteils. Dort traf ich den Leutnant wieder.
    Unsere Begegnung war nicht sehr herzlich. Ich konnte mich wahrhaftig nicht verstellen. Wie alle Dinge und Personen, die mich an Mariam erinnerten, hatte in meinen Augen auch der Leutnant seinen Anteil an der Schuld. Außerdem war ich über mein schlechtes Befinden bekümmert: Nichts deutete darauf hin, dass es besser würde. Im Gegenteil, in den letzten Tagen war es schlimmer geworden. Jetzt waren um den Bauch herum
und auf den Armen kleine graurosa Flecken entstanden; ich betrachtete sie oft, entschloss mich aber nicht, den Arzt aufzusuchen, aus Furcht vor einer Antwort, die ich mir nicht einmal vorstellen wollte. Ich sah mich vor dem Arzt stehen, halbnackt, und zitterte vor der Pause, die nach der Untersuchung eintreten würde, vor dem ernsten Blick, der mich durchbohren würde, ehe der Arzt das entsetzliche Wort aussprach.«Es ist nichts», dachte ich,«es kann nichts Ernstes sein. Nur eine Störung, die bestimmt von dieser verfluchten Ernährung verursacht wird. Der General ‹Kopfsalat› hatte gar nicht so unrecht.»
    Auf die Augenblicke tiefer Trostlosigkeit folgten auch wieder Zeiten voller Optimismus; ich sagte mir, das Wesentliche sei, so schnell wie möglich nach Italien zurückzukehren, dort würde ich vollkommen geheilt werden, ohne dass ich hier unten eine eilige Behandlung anfangen müsste. Wenn der Bataillonsarzt sich aber irren sollte? Ich würde in einem Krankenhaus landen und zum Studium der Tropenkrankheiten als Versuchskaninchen herhalten. Und dabei war es nur noch eine Frage von wenigen Wochen, dann käme die Heimkehr. Ich musste mich selbst behandeln und ausharren. Übrigens schmerzten die Flecken überhaupt nicht. Nicht einmal die Hand tat weh, auch wenn die«Erbse»nicht so aussah, als ob sie
verschwinden würde, ja, sie hatte sich sogar leicht (oh, wirklich nur ganz leicht) vergrößert.
    «Wohin gehst du?»Es war der Leutnant. Unsere Begrüßung wurde immer weniger herzlich, wir sprachen nicht mehr von der gemeinsam verbrachten Zeit, die uns doch zu Erinnerungen hätte anregen müssen. Irgendetwas hatte sich zwischen uns gesenkt, wir hatten Mühe, uns wiederzuerkennen, doch an diesem Tag konnte ich ihn nicht übersehen. Wir mussten den Weg nach A. gemeinsam zurücklegen, und so war es besser, zu sprechen; ich würde das Schweigen nicht ertragen und zog sogar seine Erzählungen vor.«Alles gut?», fragte ich.
    «Alles gut», erwiderte er. Beim Gehen suchten wir nach Worten, gleichsam als spielten wir zusammen eine müde Partie mit einem unbedeutenden Einsatz.
    Dort lag der Platz von A., immer gleich und wunderbar, immer überwacht vom gleichen Major, der in der Tür seiner Baracke steht und nicht weiß, wie er sich die Zeit vertreiben soll in Erwartung der Nacht, die ihn ins Haus der beiden Mädchen führt. Als er mich sah, spannte ein listiges Lächeln seine Lippen:«Sie sind ausgekniffen, damals. »Er wusste nicht, was tun, und wollte uns folgen. Warum musste mir dieser Mensch immer über den Weg laufen? Und immer berührte seine
Stimme mich unangenehm. Ich konnte ihm nicht entrinnen, jetzt hatte er mich untergehakt. Sein Gesicht war freundlich, und ich wunderte mich, dass ich ihn abstoßend fand: nicht zweideutig, doch wie verdunkelt von Hintergedanken, die mir noch immer entgingen; deshalb mied ich seinen Blick, der für mich mit einem lächerlichen und vielleicht unergründlichen Geheimnis belastet war. Er war ein dicker, hochgewachsener Mann, der glücklich war, am Leben zu sein, Flaschen zu entkorken und mit ausholender Geste die Zigarettenschachtel zu öffnen,

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