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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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glücklich, wenn er reden und mir zuhören konnte, bereit, mir meinen jugendlichen Optimismus zu verzeihen. Er sagte sogleich, er stehe in meiner Schuld:«Danke, dass Sie mich mit Rahabat bekannt gemacht haben.»
    «Wer ist Rahabat?», fragte ich.
    «Erinnern Sie sich nicht?»Der Major deutete in der Luft gewisse Kurven an und fügte nachdenklich hinzu, sie sei ein außergewöhnliches Geschöpf: Sie besitze keinen Sinn für die Zeit. Er schloss die Augen halb, vielleicht hatte er diesen Satz schon irgendwo gehört, doch jetzt hatte er ihn sich zu eigen gemacht; und er begann mir die Reize Rahabats zu beschreiben.
    Er widerte mich an. Dennoch beneidete ich ihn um sein Wohlbefinden, um die Sicherheit seines Daseins. Ich hielt ihn für fähig, seine Baracke,
seine Kisten, sein Geld, seine Geschäfte zu verteidigen, denn es war klar, dass er Geschäfte betrieb. Ich müsste ihn nachahmen, wenn ich nicht unterliegen wollte, ich müsste die Welt und die Menschen als gegen mich verbündet betrachten und sie mit Schlauheit schlagen. Er war überzeugt, dass ich ihn bewunderte, und das stimmte auch. Ich bewunderte seine Fehler, die ich, wie ich fühlte, vielleicht nötig gehabt hätte, um zu überleben.
    Jetzt sprach er mit seiner militärischen Stimme, die sich des Ranges bedient, um einem zu jedem Thema die eigene Meinung aufzudrängen; und er hatte eine Meinung zu jedem Thema. Er hasste dieses Land, er hasste die Eingeborenen (außer Rahabat), er hasste alles. Oder besser gesagt, er verachtete alles. Da seine Argumente mich ärgerten, begann ich ihm zu widersprechen.
    Er hörte mich ernsthaft an (ich verabscheute diesen seinen vorgetäuschten Ernst), und zum Schluss schüttelte er lachend den Kopf.«Optimist», sagte er,«aber sehen Sie sich doch diese Leute an. Finden Sie sie etwa zivilisiert?»
    Ich erwiderte, sie hätten Qualitäten, die in den zivilisierten Ländern immer mehr verlorengingen; und wie ein schlechter Schauspieler entgegnete er mit einem ironischen Lächeln:«Wollen Sie mir sagen, welche?»

    Ich sagte, diese Eigenschaften schienen mir Glaube und Ausdauer zu sein, sowie alle anderen Eigenschaften der einfachen Geschöpfe. Und außerdem Anspruchslosigkeit und Mut. Sie seien Christen geblieben.
    «Auch ich bin Christ», bemerkte der Major erstaunt.
    «Und sie haben nicht diesen Ehrgeiz», fuhr ich fort,«der bei uns das Leben eines mittelmäßigen Menschen so kleinlich und unglücklich macht. Sie kämpfen nicht für ein Schein-Leben. Sie kämpfen nicht für die Sparbüchse.»
    «Sie haben keinen Groschen», fügte der Leutnant scherzend hinzu,«und kennen nicht den Trübsinn des Sparens.»
    «Richtig. Und wenn wir nicht gekommen wären», schloss ich,«würden sie wahrscheinlich niemals ahnen, dass sie ein weniger schweres Leben führen könnten, unter der Bedingung, ihre guten Eigenschaften zu verlieren und unsere Fehler dafür anzunehmen.»
    «Sie lieben also diese Leute?», fragte der Major. Ich dachte an Mariam und gab keine Antwort, es schien mir überflüssig. Ich tat, als langweilte ich mich.
    «Sie haben eine weise Ehrfurcht vor der Theorie der geringsten Anstrengung», sagte der Leutnant.«Sie erinnern mich an die Leute in meinem
Dorf. Aber hier haben sie den Vorteil, dass sie weniger singen.»
    Der Major lachte, und mit plötzlicher Nachsicht gab er den Schuss ab, den er in Reserve gehalten hatte: «C’est la faute à Jean-Jacques» , 10 sagte er, und seine Aussprache brachte mich auf. Dann fügte er hinzu:«Ein Land, in dem es keine Straßen gab.»
    «Und auch keine Verkehrsunfälle», sagte der Leutnant schlagfertig. In jenem Augenblick spürte ich, dass diese Worte die Gewichtigkeit von Sätzen annahmen, die man schon einmal gehört hat oder die man im Zusammenhang mit einem Ereignis hören wird, das noch vage im Gedächtnis haftet.«Warum regen mich diese Worte auf?», dachte ich. Aber der Leutnant fügte hinzu:«Übrigens gibt es hier ja Abkürzungen.»Darauf zündete er eine neue Zigarre an. Ich fühlte, dass ich ihn und seine Zigarren, die eine so aufmerksame Sorgfalt erforderten, ebenso verabscheute wie seine Antworten.
    Während wir sprachen, waren wir vor der Kirche angelangt, und der Major zeigte uns neben dem Eingang die beiden Baracken mit der Veranda und sagte, dies sei das Krankenhaus, und ironisch forderte er uns auf, es zu bewundern. Ich betrachtete die beiden Baracken und fragte, ob die Kranken hier untergebracht seien.«Gewiss»,
entgegnete der Major, der sich großmütig

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