Alles ist erleuchtet
Brod D. fand während der Feiern nach dem dreizehnten Trachimtag-Fest statt, am 18. März 1804. Brod war auf dem Heimweg von dem mit blauen Blumen geschmückten Festwagen - auf dem sie in ihrer herben Schönheit so viele Stunden lang gestanden, ihren Meerjungfrauenschwanz nur in geeigneten Augenblicken geschwenkt und die schweren Säcke erst auf das erforderliche Nicken des Rabbis hin in den Fluss geworfen hatte, dessen Namen sie trug -, als sich ihr der verrückte Grundbesitzer Sofiowka näherte, dessen Namen unser Schtetl jetzt auf Landkarten und in mormonischen Volkszählungsunterlagen trägt.
Ich habe alles gesehen, sagte er. Ich habe die Parade gesehen, musst du wissen, und ich stand dabei so hoch, hoch, hoch über dem gewöhnlichen Volk und seinen gewöhnlichen Vergnügungen, an denen ich, wie ich zugeben muss, natürlich gern ein klein wenig teilgehabt hätte. Ich habe dich auf deinem Wagen gesehen, und ach, du warst so ungewöhnlich. Inmitten all dieses Schwindels warst du so echt.
Danke, sagte sie und setzte ihren Weg fort, denn sie dachte an Jankels Warnung, Sofiowka könne einem glatt ein Loch in den Bauch reden, wenn man ihm Gelegenheit dazu gebe. Wo willst du denn hin? Ich war noch nicht fertig, sagte er und packte ihren dünnen Arm. Hat dein Vater dir nicht gesagt, dass du zuhören sollst, wenn man mit dir oder zu dir oder unter dir oder um dich herum oder sogar in dich hinein redet? Ich möchte jetzt nach Hause, Sofiowka. Ich habe meinem Vater versprochen, dass wir zusammen Ananas essen, und ich will mich nicht verspäten.
Nein, das hast du nicht, sagte er und drehte Brod so, dass sie ihn ansehen musste. Jetzt lügst du mich an. Aber es stimmt. Wir haben ausgemacht, dass ich nach der Parade nach Hause komme und mit ihm Ananas esse. Aber du hast gesagt, dass du es deinem Vater versprochen hast, und es mag sein, dass du das Wort in einem weiteren Sinne benutzt, Brod, und es mag sein, dass du nicht einmal weißt, was es
bedeutet, aber wenn du dich hinstellst und mir sagst, dass du deinem Vater etwas versprochen hast, dann stelle ich mich hin und nenne dich eine Lügnerin.
Du redest Unsinn. Brod lachte nervös und wandte sich zum Gehen. Er folgte ihr und trat auf das Ende ihres Schwanzes. Wer, frage ich mich, redet hier Unsinn, Brod? Er hielt sie wieder fest und zwang sie, sich umzudrehen. Mein Vater hat mich nach dem Fluss benannt, weil - Jetzt fängst du schon wieder an, sagte er und schob seine Hand von Brods Schulter zu ihrem Haaransatz und weiter in ihr Haar, wobei er ihr das blaue Diadem der Festkönigin vom Kopf stieß. Lügen gehört sich nicht für ein kleines Mädchen.
Ich will jetzt nach Hause, Sofiowka. Dann geh doch. Aber ich
kann nicht. Warum?
Weil du mich an den Haaren festhältst.
Oh, da hast du recht. Stimmt. Hab ich gar nicht bemerkt. Das sind deine Haare, nicht? Und ich halte sie fest und hindere dich so daran, nach Hause oder sonst wohin zu gehen. Du könntest natürlich schreien, aber was würde das nützen? Alle anderen sind unten am Flussufer und schreien, schreien vor lauter Lust. Schrei auch vor Lust, Brod. Na, komm schon, das kannst du. Nur einen kleinen Lustschrei.
Bitte, wimmerte sie jetzt. Bitte, Soßowka. Ich will nur nach Hause, und ich weiß, dass mein Vater auf mich wartet -Sehen wieder, du verlogenes Miststück!, rief er. Hast du heute Abend noch nicht genug gelogen? Was willst du denn von mir?, rief Brod. Er zog ein Messer aus der Tasche und durchschnitt die Träger ihres Meerjungfrauengewands. Mit dem Arm, den Sofiowka nicht auf ihren Rücken bog, streifte sie das Gewand hinunter bis zu den Knöcheln, stieg heraus und zog dann die Unterhose aus. Dabei achtete sie darauf, dass der Meerjungfrauenschwanz nicht schmutzig wurde.
Als sie später nach Hause kam und Jankels Leichnam entdeckte, beleuchtete das Blinzeln eines Blitzes den Kolker am Fenster.
Geh weg!, schrie sie, bedeckte ihren nackten Busen mit den Armen, drehte sich wieder zu Jankel um und schützte seinen und ihren Körper vor den Blicken des Kolkers. Doch er ging nicht weg. Geh weg!
Ich gehe nicht ohne dich, rief er ihr durch das geschlossene Fenster zu. Geh weg! Geh weg!
Der Regen tropfte von seiner Oberlippe. Nicht ohne dich. Ich bringe mich um!, rief sie.
Dann nehme ich deine Leiche mit, sagte er, die Hände an das Glas gepresst. Geh weg! Ich gehe nicht!
Jankel zuckte noch einmal und stieß die Öllampe um, die dabei erlosch, sodass der Raum vollkommen dunkel war. Seine Wangen verzogen sich zu
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