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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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werden konnte...
    Der Vortrag wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Bevor einer der Anwesenden sich erheben konnte, traten zwei Männer mit schwarzen Hüten ein.
    WIR KOMMEN IM AUFTRAG DER AUFRECHTEN GEMEINDE!, rief der Größere der beiden.
    DER AUFRECHTEN GEMEINDE!, wiederholte der Kleine, Untersetzte.
    Würdet ihr bitte leiser sein, verdammt noch mall, sagte Schanda.
    IST JANKEL HIER?, rief der Größere der beiden, als wäre das eine Antwort auf ihre Bitte.
    JA, IST JANKEL HIER?, wiederholte der Kleine, Untersetzte.
    Hier. Hier bin ich, sagte Jankel und erhob sich von seinem Kissen. Er nahm an, dass der Hochgeachtete Rabbi, wie schon so oft, seiner finanziellen Hilfe bedurfte - immerhin war Frömmigkeit in jenen Tagen recht kostspielig. Was kann ich für euch tun?
    DU WIRST DER VATER DES KINDES AUS DEM FLUSS SEIN!, rief der Größere.
    DU WIRST DER VATER SEIN!, wiederholte der Kleine, Untersetzte.
    Hervorragend!, sagte Didl und klappte Band IV vom »Das Buch der Wiederkehrenden Träume« zu, sodass eine Staubwolke aufstieg. Das ist höchst hervorragend! Jankel wird der Vater sein!
    Massel tow!, sangen nun die anderen Gemeindemitglieder. Massel tow!
    Mit einem Mal überkam Jankel eine Angst vor dem Tod, größer als damals, als seine Eltern eines natürlichen Todes gestorben waren, größer als damals, als sein Bruder in der Mühle ums Leben gekommen war oder als seine Kinder gestorben waren, größer sogar als in seiner Kindheit, als ihm zum ersten Mal der Gedanke gekommen war, er müsse begreifen, was es bedeutete, nicht mehr am Leben zu sein -nicht in Finsternis, nicht in Gefühllosigkeit zu sein, sondern nicht im Sein zu sein, nicht zu sein.
    Wankler gratulierten ihm, ohne zu merken, dass er weinte, während sie ihm auf die Schultern klopften. Danke, sagte er und wiederholte es, ohne darüber nachzudenken, wem er eigentlich dankte: Herzlichen Dank. Er hatte ein Kind bekommen und ich einen Ur-ur-ur-ur-ur-ur-Großvater.

    Am Abend nahm der entehrte Wucherer Jankel D. das Kind zu sich nach Hause. Da sind wir, sagte er, hier sind die Stufen zum Eingang. Jetzt sind wir da. Das ist deine Tür. Und das hier, das ist dein Türgriff, den ich drehe. Und hier, hier stellen wir die Schuhe ab, wenn wir hereinkommen. Und hier hängen wir die Jacken auf. Er sprach mit dem kleinen Mädchen, als könnte es ihn verstehen - nie mit hoher Stimme oder einsilbigen Lauten, und niemals gebrauchte er Babysprache. Jetzt füttere ich dich mit Milch. Sie kommt von Mordechai dem Milchmann, den wirst du eines Tages auch kennen lernen. Er bekommt die Milch von einer Kuh, und wenn man darüber nachdenkt, ist das eine sehr seltsame und beunruhigende Sache, also denk lieber nicht darüber nach... Was dir da über das Gesicht streicht, ist meine Hand. Manche Leute sind Linkshänder, andere sind Rechtshänder. Was du bist, wissen wir noch nicht, weil du einfach dasitzt und mich alles tun lässt... Das hier ist ein KUSS. Es ist das, was passiert, wenn man die Lippen spitzt und auf etwas anderes drückt - manchmal auf andere Lippen, manchmal auf eine Wange, manchmal auch auf etwas anderes. Es kommt darauf an... Das ist mein Herz. Du berührst es mit deiner linken Hand, nicht weil du Linkshänderin bist - obwohl das möglich wäre - , sondern weil ich sie an mein Herz drücke. Was du da spürst, ist mein Herzschlag. Er erhält mich am Leben.
    In einer tiefen Backform bereitete er ein Bett aus zerknüllten Zeitungen, legte das Kindchen hinein und schob es vorsichtig in den Ofen, damit das Geräusch des kleinen Wasserfalls draußen es nicht beunruhigte. Er ließ die Ofentür offen, saß stundenlang da und betrachtete die Kleine, wie man einen Brotteig beim Aufgehen betrachten würde. Er sah, wie ihre Brust sich rasch hob und senkte, wie sie die Hände zu Fäusten ballte und wieder entspannte und ohne ersichtlichen Grund die Augen zusammenkniff. Kann es sein, dass sie träumt?, fragte er sich. Wenn ja, wovon träumt ein Baby? Sicherlich träumt sie vom Leben vor der Geburt, so wie ich vom Leben nach dem Tod träume. Wenn er sie auf den Arm nahm, um sie zu füttern oder einfach nur zu halten, war ihr Körper mit Sätzen aus den Zeitungen tätowiert. zeit der gefärbten hände endlich VORBEI! MAUS STIRBT AM GALGEN! Oder: SOFIOWKA DER VERGEWALTIGUNG ANGEKLAGT - »MEIN PENIS HAT MICH ÜBERWÄLTIGT UND IST AUSSER KONTROLLE GERATEN«. Oder; AVRAM r. bei Mühlenunglück getötet. er hinterlässt EINE 48-JÄHRIGE ENTLAUFENE SIAMESISCHE KATZE,

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