Alles ist erleuchtet
der Traum, für immer mit Brod zu leben, der Traum, gemeinsam zu sterben. Ich weiß, es gibt kein Leben nach dem Tod. Ich bin kein Dummkopf. Und ich weiß, es gibt keinen Gott. Ich brauche ihre Gesellschaft nicht - aber zu wissen, dass sie meine Gesellschaft nicht brauchen oder sie nicht nicht brauchen wird... Ich stelle mir Situationen mit ihr ohne mich vor, und dann werde ich so eifersüchtig. Sie wird heiraten und Kinder bekommen und Dinge berühren, denen ich mich nicht einmal nähern konnte, und all das sollte mich eigentlich glücklich machen. Ich kann ihr diesen Traum natürlich nicht erzählen, und doch wünsche ich es mir so sehr. Sie ist das Einzige, was von Bedeutung ist.
Wenn sie zu Bett ging, las er ihr eine Geschichte vor und hörte zu, wenn sie sie deutete; er unterbrach sie nie, nicht einmal, um ihr zu sagen, wie stolz er auf sie war und wie klug und schön sie war. Er gab ihr einen Gutenachtkuss und segnete sie, und dann ging er in die Küche, trank den kleinen Schluck Wodka, den sein Magen vertrug, und löschte das Licht. Er ging durch den dunklen Flur auf den warmen Schimmer unter seiner Schlafzimmertür zu. Er stolperte einmal über den Bücherstapel vor Brods Tür und dann noch einmal über ihre Tasche. Als er in sein Schlafzimmer trat, stellte er sich vor, dass er in dieser Nacht sterben würde. Er stellte sich vor, wie Brod ihn am nächsten Morgen finden würde. Er stellte sich vor, in welcher Haltung er daliegen und welchen Gesichtsausdruck er haben würde. Er stellte sich vor, wie er sich fühlen oder nicht fühlen würde. £5 ist spät, dachte er, und ich muss morgen früh aufstehen und Brods Frühstück machen, bevor sie zur Schule geht. Er ließ sich auf den Boden nieder, machte die drei Liegestütze, die er schaffte, und erhob sich dann wieder. £5 ist spät, dachte er, und ich muss für alles, was ich habe, dankbar sein und versöhnt mit allem, was ich verloren und nicht verloren habe. Ich habe mich heute sehr bemüht, ein guter Mensch zu sein und Dinge zu tun, die Gott verlangt hätte, wenn es Ihn gäbe. Danke für die Gaben des Lebens und für Brod, dachte er, und danke, Brod, dass du mir einen Grund zu leben gegeben hast. Ich bin nicht traurig. Er deckte sich mit der roten Wolldecke zu und sah nach oben an die Zimmerdecke: Du bist Jankel. Du liebst Brod.
Als Jankel die Standuhr mit schwarzen Tüchern verhüllte, war das ein Geheimnis. Als der Hochgeachtete Rabbi eines Morgens mit den Worten ABER WAS, WENN? auf den Lippen erwachte, war das ein Geheimnis. Ebenso, als die unverblümteste Wanklerin Rachel F. mit der Frage erwachte: Aber was, wenn? Als Brod nicht auf den Gedanken kam, Jankel zu sagen, sie habe rote Flecken im Schlüpfer entdeckt und sei überzeugt, sterben zu müssen, und wie poetisch es doch sei, dass sie auf diese Weise sterben müsse, war das kein Geheimnis. Doch als sie mit dem Gedanken spielte, es ihm zu sagen, und es dann doch nicht tat, war das sehr wohl ein Geheimnis. Zumindest manchmal masturbierte Sofiowka privat und nicht öffentlich - dann war es ein Geheimnis, und das machte ihn zum größten Bewahrer von Geheimnissen in Trachimbrod und vielleicht immer und überall. Als die trauernde Schanda nicht trauerte, war das ein Geheimnis. Und es war ebenfalls ein Geheimnis, als die Zwillinge des Rabbis andeuteten, sie hätten nichts von dem gesehen, was an jenem Tag geschehen war, an jenem 18. März 1791, als Trachims Wagen ihn auf den Grund des Brod gedrückt oder nicht gedrückt hatte, und könnten daher auch nichts darüber sagen.
Jankel geht mit schwarzen Tüchern durch das Haus. Er verhüllt die Standuhr mit schwarzem Stoff und wickelt seine silberne Taschenuhr in schwarzes Leinen. Er hält die Sabbatruhe nicht mehr ein, denn er will nicht daran erinnert werden, dass eine weitere Woche zu Ende gegangen ist, und meidet die Sonne, weil auch Schatten Uhren sind. Hin und wieder komme ich in Versuchung, Brod zu schlagen, denkt er, aber nicht weil sie etwas Verbotenes getan hat, sondern weil ich sie so liebe. Was auch ein Geheimnis ist. Er verhängt das Fenster seines Schlafzimmers mit schwarzem Stoff. Er wickelt den Kalender in schwarzes Papier, als wäre er ein Geschenk. Er liest, während Brod badet, heimlich in ihrem Tagebuch, was ein schreckliches Vergehen ist, das weiß er, aber es gibt schreckliche Dinge, die ein Vater tun darf, auch wenn er gar kein wirklicher Vater ist.
18. März 1803
... Ich fühle mich überfordert. Bis morgen muss ich den ersten Band
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