Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
Vom Netzwerk:
Abende damit, in den Kunstbüchern zu blättern, die Jankel in Lutsk für sie gekauft hatte, und morgens, beim Frühstück, machte sie dann ein langes Gesicht. Sie waren gut und ganz nett, aber nicht wirklich schön. Nein, wenn ich ehrlich bin, nicht. Sie sind nur das Beste, was es gerade gibt. Sie starrte einen ganzen Nachmittag lang auf die Eingangstür.
    Erwartest du jemanden?, fragte Jankel.
    Was für eine Farbe ist das?
    Er trat ganz dicht an die Tür und berührte mit der Nase das Guckloch. Er leckte am Holz und sagte scherzend: £5 schmeckt ganz eindeutig nach Rot.
    Ja, sie ist rot, nicht?
    Sieht so aus.
    Sie schlug die Hände vor das Gesicht. Aber könnte sie nicht ein bisschen röter sein?
    Brods Leben war die langsame Erkenntnis, dass die Welt nicht für sie da war und dass sie selbst, aus welchem Grund auch immer, niemals glücklich und ehrlich zugleich sein würde. Sie hatte das Gefühl, als würde sie überfließen, als würde sie immer mehr Liebe in sich erzeugen und speichern. Aber es gab keine Erlösung. Tisch, Anhänger in Elefantenform aus Elfenbein, Regenbogen, Zwiebel, Frisur, Molluske, Sabbat, Gewalt, Nagelhaut, Melodram, Graben, Honig, Zierdeck chen... Nichts davon konnte sie rühren. Sie wandte sich der Welt in aller Aufrichtigkeit zu und suchte nach etwas, das der gewaltigen Menge von Liebe, die sie, wie sie wusste, in sich hatte, würdig wäre, doch zu allem musste sie sagen: Ich liebe dich nicht. Borkenbrauner Zaunpfosten: Ich liebe dich nicht. Zu langes Gedicht: Ich liebe dich nicht. Mittagessen in einer Schüssel: Ich liebe dich nicht. Physik, und zwar sowohl der Begriff an sich als auch die angewandten Gesetze: Ich liebe euch nicht. Nichts vermittelte das Gefühl, als sei es mehr als das, was es tatsächlich war. Alles war bloß ein Ding, vollkommen eingetaucht in seine Dingheit.
    Wenn wir ihr Tagebuch - das sie wohl überallhin mitnahm, nicht aus Furcht, es könnte verloren gehen oder von irgendjemandem entdeckt und gelesen werden, sondern aus Sorge, sie könnte eines Tages auf etwas stoßen, das es endlich wert war, beschrieben und festgehalten zu werden, und dann kein Papier haben, auf dem sie es beschreiben könnte -an einer beliebigen Stelle aufschlagen würden, fänden wir in irgendeiner Form die folgende Feststellung: Ich bin nicht verliebt.
    Also musste sie sich mit der Idee der Liebe begnügen: die Liebe zu Dingen zu lieben, an deren Existenz ihr gar nichts lag. Das Objekt ihrer Liebe wurde die Liebe selbst. Sie liebte sich selbst als Liebende, sie liebte es, die Liebe zu lieben, so wie die Liebe das Lieben liebt, und war dadurch imstande, sich mit einer Welt zu versöhnen, die allzu weit hinter dem zurückblieb, was sie sich erhofft hatte. Die große, rettende Lüge war nicht die Welt selbst, sondern Brods Bereitschaft, sie schön und gerecht zu machen und ein Leben zweiten Grades zu leben, in einer Welt, die nur eine Verwandte zweiten Grades einer Welt war, in der alle anderen zu existieren schienen.
    Die Jungen, die jungen Männer, die Männer und die Alten des Schtetls hielten Tag und Nacht Wache unter ihrem Fenster und fragten sie, ob sie ihr bei ihren Studien behilflich sein dürften (bei denen sie natürlich keine Hilfe brauchte und bei denen diese Männer, selbst wenn sie es ihnen erlaubt hätte, gar nicht hätten helfen können), ob sie ihr im Garten helfen könnten (der gedieh, als wäre er verzaubert, und rote Tulpen und Rosen sowie orangefarbenes, quecksilbriges Springkraut hervorbrachte) oder ob Brod vielleicht Lust habe, einen Spaziergang zum Fluss zu machen (wohin sie sehr gut allein gehen konnte, vielen Dank). Sie sagte nie nein oder ja - sie zog an den Schnüren, sie lockerte sie, sie zog sie wieder an.
    Ziehen: Ach, wie schön wäre es, sagte sie zum Beispiel, wenn ich jetzt ein großes Glas Eistee hätte. Was dann geschah: Die Männer rannten los, um ihr ein Glas Eistee zu holen. Dem Schnellsten gab sie vielleicht ein Küsschen auf die Stirn (lockern) oder sie versprach ihm (ziehen) einen Spaziergang, der irgendwann später stattfinden würde, oder sie sagte (lockern) einfach Danke, auf Wiedersehen. Vor ihrem Fenster herrschte stets ein sorgsam austariertes Gleichgewicht: Sie erlaubte den Männern nie, zu nahe zu kommen, ließ es aber auch nicht zu, dass sie sich zu weit entfernten. Sie brauchte sie dringend, nicht nur, weil sie ihr irgendwelche Gefallen tun sollten, nicht nur, weil sie Jankel Dinge besorgen konnten, die dieser sich nicht leisten konnte,

Weitere Kostenlose Bücher