Alles ist erleuchtet
hinauf zum Bett des Kolkers. Sein Gesicht war geschwollen und voller blauer Flecken.
Brod, sagte er, doch sie gebot ihm zu schweigen. Sie holte ein Stückchen Eis aus dem Keller und hielt es an sein Auge, bis sein Gesicht und ihre Hand gefühllos waren.
Ich liebe dich, sagte sie. Wirklich.
Nein, du liebst mich nicht, sagte er.
Doch, sagte sie und berührte sein Haar.
Nein. Aber das macht nichts. Ich weiß, du bist klüger als ich, Brod, und ich bin nicht gut genug für dich. Ich habe immer darauf gewartet, dass du es endlich merkst. Jeden Tag. Ich habe mich wie der Vorkoster des Zaren gefühlt, der immer auf den Abend wartet, an dem das Essen vergiftet ist.
Hör auf, sagte sie. Es stimmt nicht. Ich liebe dich wirklich.
Hör du auf.
Aber ich liebe dich.
Ist schon gut. Mir geht es gut. Sie berührte die bläuliche Schwellung an seinem linken Auge. Die Daunen, die das Sägeblatt aus dem Kissen befreit hatte, klebten an den Tränen auf ihren Wangen. Hör zu, sagte er. Ich werde bald sterben.
Hör auf.
Wir beide wissen es.
Hör auf.
Es hat keinen Sinn, es zu leugnen.
Hör auf.
Und ich frage mich, ob du für eine Weile so tun könntest, ob wir beide für eine Weile so tun könnten, als ob wir uns lieben würden. Bis ich tot bin.
Stille.
Sie spürte es wieder, wie an jenem Abend, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war, als er beleuchtet an ihrem Fenster gestanden hatte, als sie die Arme über Brust und Bauch an die Seiten hatte herabsinken lassen und sich zu ihm umgedreht hatte.
Das können wir tun, sagte sie.
Sie bohrte ein kleines Loch in die Wand, damit er aus dem benachbarten Schlafzimmer, in das er sich verbannt hatte, zu ihr sprechen konnte, und versah die Tür mit einer Klappe, die sich nur in eine Richtung öffnete, damit sie ihm etwas zu essen geben konnte. So waren die Dinge in den letzten drei Monaten ihrer Ehe. Sie schob ihr Bett an die Wand, um ihn hören zu können, wenn er seine leidenschaftlichen Beschimpfungen murmelte, und seinen ausgestreckten Zeigefinger zu spüren, der sie weder verletzen noch liebkosen konnte. Wenn sie mutig genug war, steckte sie einen Finger durch das Loch (es war, als würde sie einen Löwen in seinem Käfig necken) und lockte den Mann, den sie liebte, an die Trennwand aus Kiefernholz.
Was tust du?, flüsterte er.
Ich spreche mit dir.
Er legte ein Auge an das Loch. Du siehst sehr schön aus.
Danke, sagte sie. Darf ich dich ansehen?
Er trat ein Stück zurück, damit sie wenigstens ein wenig von ihm sehen konnte.
Würdest du dein Hemd ausziehen?, fragte sie.
Ich bin so schüchtern. Er lachte und zog sein Hemd aus. Würdest du dein Hemd auch ausziehen, damit ich mir nicht so seltsam vorkomme?
Dann würdest du dir weniger seltsam vorkommen? Sie lachte. Aber sie zog ihr Hemd aus, und sie stand absichtlich so weit von dem Loch entfernt, dass er an das Loch treten und sie ansehen konnte.
Würdest du auch die Socken ausziehen?, fragte sie ihn. Und deine Hose?
Und du deine?
Ich bin auch schüchtern, sagte sie, und das stimmte, obgleich sie einander Hunderte, ja vielleicht Tausende Male nackt gesehen hatten. Sie hatten einander nie von weitem gesehen. Sie kannten die größte Intimität nicht, die Nähe, die nur durch Entfernung zu erzeugen ist. Sie ging zu dem Loch und betrachtete ihn stumm einige Minuten lang. Dann trat sie zurück. Er ging zu dem Loch und betrachtete sie stumm einige Minuten lang. In diesem Schweigen erreichten sie eine andere Intimität, die Intimität von Worten ohne Sprache.
Und würdest du jetzt deine Unterwäsche ausziehen?, fragte sie ihn.
Würdest du deine ausziehen?
Nur wenn du deine ausziehst.
Dann ziehst du deine auch aus?
Ja.
Versprichst du es?
Sie zogen ihre Unterwäsche aus, betrachteten einander abwechselnd durch das Loch und erlebten die plötzliche und große Freude, den Körper des anderen zu entdecken, und den Schmerz, nicht imstande zu sein, zugleich auch die Person des anderen zu entdecken.
Jetzt berühre dich, als gehörten deine Hände mir, sagte sie.
Brod. Bitte.
Er tat es, obgleich es ihm peinlich war, obgleich er eine Körperlänge von dem Loch entfernt war. Und obgleich er von ihr nicht mehr sehen konnte als ihr Auge - ein blaues Stück Marmor in der Schwärze der Wand -, tat sie dasselbe wie er: Sie gebrauchte ihre Hände, um sich an seine Hände zu erinnern. Sie wich ein Stück zurück und betastete mit dem rechten Zeigefinger das Loch in der hölzernen Trennwand, und mit ihrer Linken drückte sie Kreise
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