Alles ist erleuchtet
auf ihr größtes Geheimnis, das ebenfalls ein Loch war, ebenfalls ein negativer Raum - und wann ist genug Beweis genug?
Würdest du zu mir kommen?, fragte sie ihn.
Ja.
Ja?
Ja.
Sie liebten sich durch das Loch. Die drei Liebenden pressten sich aneinander, doch sie berührten sich nicht ganz. Der Kolker küsste die Wand, und Brod küsste die Wand, doch die selbstsüchtige Wand küsste keinen von beiden. Der Kolker presste die Hände an die Wand, und Brod, die der Wand den Rücken zukehrte, um diese Vereinigung zu ermöglichen, drückte die Rückseite ihrer Oberschenkel an die Bretter, doch diese blieben gleichgültig und wussten das, was die beiden so mühevoll zu tun versuchten, nicht zu würdigen.
Sie lebten mit dem Loch. Es war definiert durch eine Abwesenheit, und diese wurde zu einer Anwesenheit, welche die beiden definierte. Das Leben war ein kleiner negativer Raum, der aus der ewigen festen Stofflichkeit ausgeschnitten war, und zum ersten Mal kam es ihnen vor wie etwas Kostbares - nicht wie all die Worte, die ihre Bedeutung verloren hatten, sondern wie der letzte Atemzug eines Ertrinkenden.
Ohne den Kolker untersuchen zu können, diagnostizierte der Arzt Auszehrung - es war wenig mehr als eine Vermutung, damit er überhaupt etwas auf die gepunktete Linie schreiben konnte. Brod sah durch das Loch in der schwarzen Wand, wie ihr noch junger Mann immer mehr verfiel. Der starke, wie ein Baum gewachsene Mann, der in der Nacht von Jankels Tod von einem Blitzstrahl beleuchtet worden war, der ihr erklärt hatte, was ihre erste Periode bedeutete, der früh aus dem Haus gegangen und spät heimgekehrt war, um Geld zu verdienen und für sie zu sorgen, der ihr nie ein Härchen krümmen wollte, sie aber zu oft die Kraft seiner Fäuste hatte spüren lassen, sah jetzt aus wie ein Achtzigjähriger. Über den Ohren war sein Haar ergraut, und weiter oben war er kahl. Pochende Adern waren unter der vorzeitig gealterten, runzligen Haut seiner Hände erschienen. Sein Bauch war nach unten gesackt. Seine Brüste waren größer als die Brods, was wenig über ihre Größe aussagte, aber umso mehr darüber, wie weh es Brod tat, sie zu sehen.
Sie überredete ihn, seinen Namen ein zweites Mal zu ändern. Vielleicht würde das den Todesengel verwirren, wenn er kam, um den Kolker zu holen. (Das Unausweichliche ist immerhin unausweichlich.) Vielleicht konnte man den Engel überlisten, sodass er dachte, der Kolker sei jemand, der er nicht war, genauso wie der Kolker überlistet worden war. Also taufte Brod ihn Safran, nach einer mit Lippenstift geschriebenen Zeile an der Decke des Schlafzimmers ihres Vaters; an diese Zeile dachte sie mit Sehnsucht zurück. (Und nach diesem Safran war mein Großvater, der kniende Bräutigam, benannt worden.) Doch es funktionierte nicht. Der Zustand von Schalom-dann-Kolker-und-jetzt-Safran verschlimmerte sich, die Jahre vergingen wie Tage, und sein Kummer machte ihn so schwach, dass er nicht einmal genug Kraft hatte, um seine Handgelenke über das Sägeblatt in seinem Kopf zu ziehen und seinem Leben ein Ende zu setzen.
Kurz nach Beginn ihres Exils auf den Hausdächern stellten die Schlote von Ardischt fest, dass ihnen bald die Streichhölzer ausgehen würden, mit denen sie ihre geliebten Zigaretten anzündeten. Sie stellten eine Rechnung auf und schrieben sie mit Kreide an den höchsten Schornstein. Fünfhundert. Am nächsten Tag waren es noch dreihundert. Am nächsten hundert. Sie rationierten die Streichhölzer, sie ließen ein Hölzchen, in dem Versuch, mindestens dreißig Zigaretten damit anzuzünden, bis zu den Fingern des Anzündenden herunterbrennen. Als sie nur noch zwanzig Streichhölzer besaßen, entwickelte sich das Anzünden zu einer Zeremonie. Bei zehn begannen die Frauen zu weinen. Neun. Acht. Der Anführer des Clans ließ das siebtletzte Hölzchen versehentlich vom Dach fallen und stürzte sich, erfüllt von Scham, sogleich hinterher.
Sechs. Fünf. Es war unausweichlich. Das viertletzte Streichholz wurde von einem Windstoß ausgeblasen - eine grobe Fahrlässigkeit des neuen Anführers, der daraufhin ebenfalls vom Dach stürzte, wenn auch nicht freiwillig. Drei: Ohne sie sterben wir. Zwei: Es ist zu schmerzhaft weiterzuleben. Und dann, im Augenblick der tiefsten Verzweiflung, kam ein großartiger Gedanke auf, und er kam ausgerechnet aus dem Munde eines Kindes: Sorgt einfach dafür, dass immer einer raucht. Jede Zigarette kann an der vorigen angesteckt werden. Solange eine Zigarette brennt,
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