Alles Ist Ewig
fallen, wenn Haven auf ihn zukam, um ihn zu begrüßen. Die Eier zerbrachen, und das Abendessen kam nicht vor neun auf den Tisch. Später am Abend, wenn ihr Hunger gestillt war, verließen sie manchmal die Wohnung und spazierten Hand in Hand durch die leeren Straßen, während Iain Haven flüsternd Geschichten aus ihren zahlreichen gemeinsamen Leben erzählte.
Haven hatte gehofft, dass es bis in alle Ewigkeit so weitergehen würde. Jetzt aber machten Iain und sie sich dafür bereit, Rom zu verlassen, und es kam ihr vor, als neigte ihr goldenes Jahr sich nun dem Ende zu. Schon seit über einer Woche hatte Haven das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Angefangen hatte alles mit einer schwarz gekleideten Gestalt auf dem Platz unterhalb ihres Balkons. Sie hatte den Mann nicht gut erkennen können. Es hätte jeder sein können. Und genau das machte ihr Sorgen. Seither kam es ihr vor, als habe die Stadt Geheimnisse vor ihr. Die Tage wurden dunkler, das Wetter kälter. Haven hatte ständig das Gefühl, beobachtet zu werden, und jedes Mal, wenn sie um eine Ecke bog, hielt sie den Atem an, aus Angst, dass dort die schwarz gekleidete Gestalt auf sie wartete.
Am Anfang hatte sie ihre Sorgen für sich behalten. Doch nach der Begegnung mit den drei Mädchen auf der Appia Antica wusste Haven, dass sie und Iain schnell handeln mussten. Die Gefahr war real, keine Einbildung. Wenn sie in Rom blieben, riskierten sie, entdeckt zu werden. Iain meinte, sie mache sich zu viele Gedanken, schlug aber bereitwillig eine Reise nach Norden vor, in die Toskana. In Florenz gebe es etwas, das Haven sicher gern sehen würde, sagte er.
Haven packte einen der staubigen Koffer beim Griff und zerrte ihn in die Diele. Dabei kippte ein Beutel mit Stoffresten um und sein Inhalt verteilte sich über den Schrankboden. Haven stöhnte und hockte sich hin, um alles wieder einzusammeln. Ihre Finger streiften eine Leinwand auf der Rückseite des Schranks. Sie hatte ganz vergessen, dass sie dort war. Das Gemälde hatte ihnen eine der wenigen Personen zum Einzug geschenkt, die nicht zu ihrer Familie gehörten und trotzdem wussten, wo Iain und sie zu finden waren. Haven schob einen dicken Mantel zur Seite und spähte zwischen den Stapeln ihrer Habseligkeiten hindurch. Von Nahem sah das Bild aus wie ein einziger wilder Farbstrudel. Erst als sie sich ein Stück zurücklehnte, traten aus dem Chaos Formen hervor.
Das Gemälde war Teil einer riesigen Serie. Ein paar weitere Stücke daraus hingen im dritten Stock eines heruntergekommenen Hauses in der Nähe der Brooklyn Bridge. Die übrigen Arbeiten – mehrere hundert Bilder – moderten in einem Lagerhaus in Queens vor sich hin. Kein Kunstsammler, wie morbide sein Geschmack auch sein mochte, hätte sie je ausgestellt. Jede Leinwand zeigte eine tragische Szene aus der Vergangenheit, die zusammengenommen einen ganzen Katalog großer und kleiner Katastrophen bildeten. Schiffbrüche und Brände, Verrat und gebrochene Herzen – alle verursacht von ein und derselben geheimnisvollen Gestalt, die auf jedem Gemälde in irgendeinem verborgenen Winkel zu finden war. Aber nur, wenn man wusste, wonach man suchte.
An dem Tag, als das Bild geliefert worden war, hatte Haven ungeduldig das Packpapier aufgerissen, um zu sehen, was sich darunter verbarg. Die Künstlerin Marta Vega war eine alte Freundin von Iain. Sie war jahrelang von entsetzlichen Visionen aus der Vergangenheit heimgesucht worden, die ihre Bilder inspiriert und erst aufgehört hatten, nachdem sie aus New York geflohen war und sich in Paris niedergelassen hatte. Dort hatte sie eine neue Serie angefangen, die ihren nun etwas hoffnungsvolleren Blick auf die Zukunft widerspiegelte. Haven hatte damit gerechnet, ein Bild aus dieser Reihe unter dem braunen Papier zu finden. Stattdessen hielt sie ein düsteres Gemälde in den Händen, auf dem ein leuchtend gelber Haftnotizzettel klebte. Das hier war das Letzte, stand darauf. Ich weiß, dass es für Euch ist. Iain hatte nur einen kurzen Blick darauf geworfen und das Bild sofort in den Schrank verbannt, verborgen hinter Mänteln und Kleidern. Haven hörte später, wie er mit Marta telefonierte, die Stimme zu einem wütenden Flüstern gesenkt. Er schimpfte, dass sie ihnen das Bild nie hätte schicken dürfen. So etwas sei das Letzte, was Haven im Moment gebrauchen konnte, und er hoffe, dass sie es sich nicht zu genau angesehen hatte. Irgendwann würden sie sich ihren Dämonen stellen müssen, das sei ihm klar, aber
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