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Alles ist grün

Alles ist grün

Titel: Alles ist grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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Flugbegleiterin neben sich. »Tut mir leid wegen Ihres Rocks und dass ich das Kompott von Ihrem Rendezvous erstochen hab.«
    »Schon okay«, sagt Magda und streicht sich blonde Haarsträhnen hinter die Ohren. »Und es war kein Rendezvous.«
    »Nur was ist mit meinem Dexter?«, fragt Mark tonlos.
    »Er war bloß ein Flugpassagier«, erklärt Magda.
    »Mein Pfeil, Sternberg«, sagt Mark, beugt sich vor, um Tom an Magda vorbei ins gekochte Ei-Auge zu sehen, und versucht, sich zu ärgern. »Du hast ihn da vergessen, stimmt’s?«
    »Ich hab ihn«, sagt Magda.
    Mark sieht sie an. Ein plötzliches Rütteln – Schlagloch; »Scheiße«, stößt DeHaven hervor – lässt seinen Magen wie im Sturzflug steigen.
    »Er ist in meiner Reisetasche.« Sie lächelt. »Im Kofferraum. Geb ich Ihnen, wenn wir da sind.«
    Mark sieht ihr ins orangefarbene Gesicht. »Danke. Das ist nämlich mein Lieblingspfeil. Der einzige, den ich durch die Kontrollen kriege. Aus Aluminium.« Und nach einer Pause: »Vielen Dank.«
    Sie lacht. »Es sah ganz schön obszön aus, wie er da aus dem Kompott ragte. Ich dachte mir schon, dass einer von Ihnen den zurückhaben will.«
    »Also vielen Dank«, sagt Sternberg.
    »Ja. Danke.« Das Teil ist unverlierbar. Er hat ihn sogar mal ins Meer geschossen. Von einem alten Kai aus. Nur trieb er auf dem Wasser und glänzte; hing an seiner Zedernholznocke; wurde nach Stunden von der trägen Flut angeschwemmt.
    Und Mark hatte auf ihn gewartet. Auf dem zerfallenden Kai, der nach Fisch roch. Die Tatsache, dass der Pfeil nicht verschwinden kann, ist tröstlich und beunruhigend zugleich. Mark fühlt sich dadurch besonders, das stimmt. Aber von besonders ist es nicht weit bis Allein.
    Obwohl wir alle, wie Mark wüsste, wenn er sich die Mühemachen würde, J.   D. Steelritter zu fragen, der in den längst versunkenen glücklichen Zeiten der Single-Bars über Ängste vor solipsistischen Täuschungen recherchiert hatte, wir alle uns kleinen solipsistischen Täuschungen hingeben. Wir alle. Und die Wahrheit liegt ja vor, aufgezeichnet und in Schwarz-Weiß-Grafiken aufbereitet – vergessen, da heute die Angst vor der Krankheit die Angst vor dem Alleinbleiben überflügelt hat –, liegt in verstaubten Klemmbrettern aus Aluminium in einem abgelegenen Archiv von J.   D. Steelritter Advertising in Collision, wohin sie unterwegs sind. Wir alle geben uns kleinen solipsistischen Täuschungen hin, gespenstischen Ahnungen äußerster Einmaligkeit: Dass wir die Einzigen im Haus sind, die je die Eiswürfelschalen nachfüllen, die saubere Spülmaschine ausräumen, gelegentlich unter der Dusche pinkeln, bei der ersten Verabredung nervös zuckende Lider haben; dass nur wir die Beiläufigkeit schrecklich ernst nehmen; dass nur wir Bitten zu einer Form der Höflichkeit machen; dass nur wir das winselnde Pathos im Gähnen eines Hundes hören, das zeitlose Seufzen beim Öffnen eines vakuumverschlossenen Gefäßes, das Spritzlachen des Spiegeleis in der Pfanne, die d-Moll-Klage im Staubsaugerkreischen; dass nur wir die Panik des Neuzugangs im Kindergarten spüren, wenn sich die Mutter zurückzieht. Dass nur wir das nur wir mögen. Dass nur wir das nur wir brauchen. Der Solipsismus schweißt uns zusammen, weiß J.   D. Dass wir uns in einer Menschenmenge einsam fühlen; uns nicht mit dem befassen wollen, was die Menge hat entstehen lassen. Dass wir immer Gesichter in der Menge sind. Das ist Steelritters Speise.
    O die Traurigkeit des J.   D. Steelritter, der Mengen ins Leben ruft! Ein überfüllter Planet würde sich sofort hinlegen aus Liebe zu den Männern, die erschaffen, was sie erschaffen haben wollen. Aber für den Mann, der ihre Wünsche erschafft? Einen Drink aufs Haus? Gott behüte, auch nur einfreundschaftliches Schulterklopfen? Eine Umarmung? Einen Fernsehfilm der Woche, die »Geschichte des J.   D. Steelritter«, gesponsert von seinen Sponsoren, ein Porträt von J.   D. als Held, als Überwinder? Einen einfühlsamen Roman von C— Ambrose, in dem J.   D., Manipulator von Bild und Zeichen, per Epistase der Verzauberung durch das selbst gesponnene Hypnolabyrinth erliegt und per Dénouement gezwungen wird zu transzendieren, erwachsen zu werden und zu sehen? Irgend etwas, ja? Aber nein. Fernsehen über politische Körper und Menschen mit sterbenden Körpern oder Räuber und Gendarmen beim Durchlöchern von Körpern oder Ärzte beim Flicken von Körpern. Romane über Romanciers, die Romane über Romanciers schreiben, die nie

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