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Alles ist grün

Alles ist grün

Titel: Alles ist grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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sein. Er wird nicht einfach bloß gebraucht werden. Er wird geliebt werden. Heißgeliebt. Denn er wird das Produkt repräsentieren.
    Er grübelt auf dem Beifahrersitz. Er hat seine Zigarre so weit runtergeraucht, dass er ihre Hitze an den Lippen spürt. Die Vogelscheuche aus Eisengeflecht verschwindet in null Komma nichts hinter ihnen. Er schmeißt den Stummel aus dem Fenster, hört per Willensakt auf zu grübeln, und seine große Stirnglättet sich wie ein sorgfältig geknicktes Blatt Papier. Bald kommt die letzte Kurve nach Westen.
    Sie werden von einem Hühnertransporter überholt, der es ungeheuer eilig hat. Seine Seiten sind die eines Lattenverschlags. Im Vorbeifahren staubt er Futter und Federn auf DeHavens Windschutzscheibe. Die (rasend) wischenden selbst gebauten Scheibenwischer lassen die rot pulsierende Clownsnase endgültig in den Schlitz zwischen Scheibe und Armaturenbrett rutschen. Die Nase wird für alle unsichtbar und liegt irgendwo hinter dem Armaturenbrett.
    Unsere sechs fahren ihrerseits an einem hünenhaften alten Farmer vorbei, der auf dem kaum vorhandenen Randstreifen der Landstraße steht und trampt. Seinen alten Mähdrescher sieht man kaputt und müde nach Steuerbord geneigt im wogenden Mais hinter ihm stehen. Auf der anderen Seite des fahrenden Wagens sind gerade eben die Spitzen der zwei riesigen Bögen zu sehen, die wie die ernsten Brauen eines Kindes über der Schreibtischlinie zwischen dem Land und der babyblauen Iris eines Himmels geneigt sind, der den ganzen Tag auf Nahrungsmittel herabblickt. J.   D. sieht die Bogenspitzen als Erster – gebt dem Mann eine Zigarre, lächelt er –, denn die anderen fünf sehen alle den großen, trampenden, reglosen Farmer an, der wie eine Statue auf sie zurast. Er ist riesig; sein Daumen wirft einen Schatten. Das heimtückische Clownsauto besprüht ihn mit Schotter.
    »Haben nicht genug Platz für einen so großen Farmer, Mann«, sagt DeHaven.
    »So große alte Männer sieht man selten«, spekuliert D.   L. »Große Männer scheinen jung zu sterben. Habt ihr schon viele große alte Männer gesehen? Die sind selten. Gewöhnlich sterben sie.«
    Das ist etwas unbedacht. Beide Steelritters sind ziemlich groß. Und Mark Nechtr auch.

    DeHaven lenkt den Wagen mit höchstens zwei Fingern nach links; die andere weiße Hand dreht an der UKW – Skala. Der Wagen ächzt in der Kurve. Ein bisschen mehr von den gigantischen blonden Bögen erscheint, jetzt direkt vor ihnen, noch weit weg, sie offenbaren aber schon mehr von sich, die nordischen Brauen werden breiter, wirken weniger streng, während der höhergelegte Wagen auf sie zufährt. Auf dem Straßenschild an der Kreuzung hatte 2000W gestanden. Alle Straßen werden hier draußen auf dem Lande anscheinend nur mit Nummern und Himmelsrichtungen versehen. J.   D. hustet gehaltvoll. Die sechs Autoscheiben sind noch mit überlebenden, aber reglosen kleinen Insekten gesprenkelt – ungetötet, weil sie das Töten uninteressant und außerdem ekelhaft machen, findet Mark und tötet eins.
    Eine unbeachtete Tatsache ist, dass eine dunkle – genauer gesagt obsidianschwarze – Linie erschienen ist, als sie nach Westen auf die schnurgerade 2000W abbogen. Das sind möglicherweise Sturmwolken. Sie bilden einen semitischen Haaransatz über den goldenen Brauen.
    Eine Entwicklung ist, dass DeHavens behandschuhte Finger aus den Gezeiten des Tagesrauschens die UKW – Inkarnation jenes Wonderful WILL - Senders herausgepickt haben, der gerade mitten in der Übertragung einer vormittäglichen altmodischen Pfingstler-Gospelstunde steckt. Der Prediger – man merkt, dass er ein Charismatiker ist, ein Erweckungsprediger, denn er macht mit dem Englischen, was die Schweizer mit dem Französischen machen: Jede Silbe erhält zusätzlich ein gehauchtes Suffix –, der Prediger greift Fragen von Augen, Splittern und Balken auf. Spielt auf die Jahreszeiten an, aus denen sich die ländliche Spiritualität speist. Nimmt Bezug auf festgefügte Zyklen aus Leben, Übergang, Tod, Übergang, Leben. Er hält durchweg eine monotone Idiotennote im hohen C und wiederholt ein paar sehr einfache Themen. Das hohe, stetige Jaulen und Hauchen reibt sich nervtötend an den Stimmgabeln aller an Schlafentzug leidenden Autoinsassen mit Ausnahme Magdas, die nachts ohne Medikamente wie tot schläft. Variationen gibt es einzig und allein im Eingehen des Predigers auf sein Publikum; jedes Epitheton wird dreimal wiederholt. Er klingt nach fieberhafter Lakonik,

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