Alles ist mir nicht genug
Satz, du bist mein
monster.
Um Gottes
willen! Will wirklich jemand wissen, wie es weitergeht?
Vanessa saß an
einem der hinteren Tische in der Aula der Constance-Billard-Schule, wo sie
dieselbe Geschichtsprüfung ablegte wie Serena. Sie war schon eine
Dreiviertelstunde vor Schluss fertig geworden. Während ihre beschränkten Mitschülerinnen
Serena umschwärmten wie emsige Arbeiter- bienchen ihre Königin - nur weil sie
am Wochenende zufällig mit einem Popstar fotografiert worden war, der zwar
keinen Ton traf, dafür aber marktgerecht aussah -, entwarf Vanessa eine Route
für einen gefilmten Stadtrundgang, mit dem sie sich an der NYU bewerben wollte.
Scheiß auf die Klatschspalten! Ihr Film würde
dokumentieren, was tatsäch- lieh in dieser Stadt passierte. Sie würde die
wirklich faszinierenden Geschichten erzählen, die sich direkt unter den Augen
der Leute abspielten und von denen sie nichts mitkriegten, weil sie zu sehr
damit beschäftigt waren, über eine Scheinwelt zu lesen.
Vanessa wollte
im Morgengrauen aufstehen, um die Fischer unten am Hafen zu filmen, die den
Fischmarkt in Fulton mit Ware belieferten. Bei dem Gestank wurde ihr zwar
speiübel, aber die Idee war perfekt: Sie würde einen Fisch auf seinem Weg vom
Kutter zum Markt begleiten, wo er vom Koch eines der Luxusrestaurants auf der
Upper East Side zu einem Spottpreis gekauft wurde, um für neunundzwanzig Dollar
die Portion in Pistazienkruste an Süßkartoffeln mit Wildpilzbutter irgendeiner
essgestörten, zweifach geschiedenen Park- Avenue-Bewohnerin serviert zu werden,
die den Teller nach zwei winzigen Bissen wegschob. Der Rest landete dann im
Müll.
Genau diese
bittersüße Ironie war Vanessas großes Thema. Sie war Pessimistin und Dan
eingefleischter Romantiker, und deshalb konnte sie bei aller Verliebtheit auch
nicht nachvollziehen, weshalb ihn der Gedanke an Sex so unglaublich stresste.
Sie sah das Ganze so: Je länger Dan sein erstes Mal herausschob, je mehr
Bedeutung er ihm beimaß und je mehr Gedichte er darüber schrieb und sich um den
Schlaf brachte, desto sicherer stand ihm eine Enttäuschung bevor. Aber ihr fiel
keine sanftere Methode ein, ihm das beizubringen, als ihn zu fesseln und über
ihn herzufallen. Was vielleicht gar keine so schlechte Idee wäre.
Vanessa
grinste, dann lenkte sie ihre Gedanken wieder auf ihr Filmprojekt.
Nach dem
Fischmarkt wollte sie einen Tag lang einen der Fahrradcops begleiten, die
ständig auf ihren Mountainbikes im Central Park rumkurvten und denen es
anscheinend egal war, dass dort überall Jugendliche rumhingen, die sich zu-
kifften oder Bier soffen. Vanessa hätte gern herausgefunden, ob sie auch mal
jemanden verhafteten oder bloß ihre Wadenmuskulatur trainierten. Ohne
offizielle Dreherlaubnis durfte man die Bikerbullen zwar wahrscheinlich nicht
filmen, aber die Idee war gut.
Als Nächstes
wollte sie einen Hotdogverkäufer porträtieren. Sich mal ansehen, wie er so
wohnte, seine Familie und seinen Hund kennen lernen. Herausfinden, ob er Stammkunden
hatte. Ob er, während er auf Kundschaft wartete, womöglich hochintellektuelle
Bücher las, »Die Enden der Parabel« von Thomas Pynchon zum Beispiel, oder davon
träumte, eines Tages die Welt zu verändern. Oder reichte es ihm, Würstchen zu
verkaufen und sich den ganzen Tag kostenlos satt essen zu dürfen?
Im vorderen
Bereich der Aula tat sich etwas. Die Traube der Constance-Lemminge um Serenas
Tisch löste sich allmählich auf.
»Vielen Dank,
Serena. An die Arbeit, Mädchen«, rief Mr Hanson. »Ihr habt noch zehn Minuten.«
Vanessa
beobachtete, wie sich Serena wieder inbrünstig der Analyse ihrer gespaltenen
Haare zuwandte.
Eigentlich
hätte sie ja im Oktober in Vanessas Film-Adaption von »Krieg und Frieden« die
weibliche Hauptrolle spielen sollen, aber Dan hatte Serena so angehimmelt,
dass Vanessa den Anblick der beiden nicht ertragen konnte. Sie hatte die Rolle
lieber einem Mädchen gegeben, das völlig unfähig gewesen war. Serena hatte Dan
auch toll gefunden - ungefähr fünf Sekunden lang. Allzu großen Schaden hatte
sie allerdings nicht anrichten können, weil Sanitäterin Vanessa mit ihrem
geschorenen Schädel, ihrem schwarzen Rolli und ihren Doc Martens noch
rechtzeitig angestürmt gekommen war und Dans gebrochenes Herz verarztet hatte.
Vanessa
rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Bei dem Gedanken, dass sie Dans
angeknackstes Herz gekittet hatte, bekam sie gleich noch mehr Lust, mit ihm zu
schlafen. Sie seufzte ungeduldig. In
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