Alles ist mir nicht genug
Seele.
Beim
Durchblättern seiner alten Notizbücher hatte er festgestellt, dass er sein
letztes annehmbares Gedicht vor Thanksgiving geschrieben hatte, also bevor er
und Vanessa sich das erste Mal geküsst und erkannt hatten, dass sie ineinander
verliebt waren.
Er wälzte die
Frühlingsrolle in der klebrigen Pflaumensoße und biss hinein. Neben Gedichten
über den Tod schrieb er am liebsten welche über die Liebe, aber jetzt, wo er
verliebt war, klangen die Wörter, mit denen er früher darüber geschrieben
hatte, auf einmal hohl und holperig. Er brauchte dringend so etwas wie einen
Perspektivwechsel, um sich dem Thema neu annähern zu können. Wieder tauchte er
die Frühlingsrolle in die Soße und biss ab. Heißes Frittierfett rann ihm das
Handgelenk hinab. Die Kellnerin stieß ihn versehentlich mit der Hüfte am
Ellbogen an und der Frühlingsrollenrest fiel in seine Tasse. Eine Fontäne
milchiger Tropfen spritzte über den Tisch.
Andere Leute
wären ausgerastet, aber für Dan war es - pling! - ein klassischer
Glühbirnen-Moment.
Sex! Das war
der neue Ansatz, den er brauchte! Sex war der ultimative Ausdruck von Liebe.
Deshalb wollte er ja auch erst dann mit einer Frau schlafen, wenn der Moment gekommen
war, in dem das, was er ihr sagen wollte, nur noch durch körperliche Liebe
auszudrücken war.
Dan zog
entschlossen die Kappe vom Stift. Er wusste, dass beim Schreiben über Sex
häufig Klischees wie knospende Blüten, Sonnenaufgänge und explodierendes
Feuerwerk bemüht wurden. Er wusste natürlich auch, dass man fast jedem Wort
einen sexuellen Unterton verleihen konnte. Aber er wollte ganz neu und
unerwartet über Sex schreiben, wie es vor ihm noch keiner getan hatte.
Dan
betrachtete die halbe mit Kaffee voll gesogene Frühlingsrolle und dachte nach.
Wenn ein
normaler Junge an Sex denkt, denkt er sofort daran, seiner Freundin die
Kleider vom Leib zu reißen. Dan war aber nicht normal. Statt daran zu denken,
Vanessa die Kleider vom Leib zu reißen, dachte er über Wörter nach. Wobei
Wörter an sich erst mal nicht sonderlich erotisch sind, es sei denn, man setzt
sie in einen erotischen Zusammenhang. Dazu muss man allerdings aufhören, über
die Wörter nachzudenken, und an etwas anderes oder besser noch an jemand anderen
denken. Vorzugsweise an jemanden ohne Kleider.
Aber Dan kam
nicht von den Wörtern los. Und je mehr er über den treffendsten Ausdruck
nachgrübelte, desto klarer wurde ihm, dass er eigentlich nicht über Sex
schreiben konnte, weil er noch nie welchen gehabt hatte. Und wenn er nicht über
Sex schreiben konnte, konnte er auch nicht über Liebe schreiben, und wenn er
nicht über Liebe schreiben konnte, konnte er über überhaupt nichts schreiben.
War Sex
vielleicht ein Heilmittel gegen Schreibblockade?
v trifft vanessa
Vanessa ging
am Donnerstag nach Schulschluss in Soho den Broadway entlang und filmte einen
Transvestiten in einem hautengen schwarzen Latex-Overall und schwarzen Latexboots
mit zwölf Zentimeter hoher Plateausohle, der einen zerbrechlichen schwarzen
Chihuahua in einem orangen Flauschpulli spazieren führte, als ihr ein Mädchen
vor der Filiale von »Victorias Secret« einen Flyer in die Hand drückte.
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Kauf von zwei BHs aus unserer neuen »Verij Sexy«- Kollektion erhalten Sie den
dazu passenden V-String oder ein Pantyhöschen gratis.
Vanessa hatte
keine Ahnung, was V-Strings oder Pantyhöschen genau waren, weil sie ihre ganz
normalen Baumwollslips bei Hanes und ihre Trägershirts bei Rite Aid holte und
noch nie im Leben ein Wäschegeschäft betreten hatte. Sie betrachtete die
Plakate in den Schaufenstern, die Gisele Bündchen in der neuen
Angels-Kollektion zeigten. Nahtlose
Dessous in himmlischer Passform lautete der Slogan. Klar, an Gisele
sah natürlich alles nahtlos und himmlisch aus, aber würde es auch an ihr gut
aussehen?
Sie schlang
sich den Riemen ihrer Kamera über die Schulter und zog die schwere Glastür
auf. Vielleicht sollte sie sich den Spaß machen, es mal auszuprobieren.
Kaum war die
Tür hinter ihr zugefallen, begrüßte sie auch schon eine zierliche Blondine im
engen schwarzen Hosenanzug. »Willkommen bei Victorias Secret. Kann ich Ihnen
behilflich sein?«
Vanessa setzte
eine abweisende Miene auf. Sie hasste penetrante Verkaufs-Tussen. »Nicht
nötig«, brummte sie. »Ich seh mich nur ein bisschen um.«
Die Frau
lächelte liebenswürdig. »Aber sicher doch, gerne. Falls Sie mich brauchen - ich
heiße Vanessa.«
Vanessa guckte
überrascht.
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